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Jeder kennt sie, diese Orte, an denen alles wie verwandelt
erscheint. Es sind die Orte der Kindheit, um die sich Sagen und Legenden
ranken, in denen alles riesig und magisch erschien, von Grusel umweht
war, wo wir erwarteten, dass Feen, Geister oder gar die schöne
Lilofee auftauchen. Orte, an denen man eine große Kraft verspürt,
die quasi durch die Erde hindurchströmt wie bei den Externsteinen,
Orte, an denen man der Natur quasi ausgeliefert ist auf Gedeih und
Verderb wie in Mooren, Burgen, die so mächtig sind, dass man die
Kraft spürt, die hier Mauern aufgetürmt hat. Jedes Land hat
seine mythischen Orte und an so manchem ist jeder im Lauf seines Lebens
gewesen. Dass ihn diese Orte, das Erlebnis, das man dort hatte, die
Geschichten, die sich darum ranken, in seiner Identität stark prägen,
macht sich kaum jemand klar. In unseren mobilen Zeiten aber merken wir:
Das Land, in dem wir aufwachsen, prägt uns. Der Meeranwohner hat im
Bergland so seine Probleme mit der fehlenden Weite, der Hügelfreund
wird im platten Land vergebens nach einer Augenbremse suchen, der
Gebirgler schätzt es nicht, lange vorher den Störenfried schon
zu sehen, der auf dem flachen Land viel rascher sichtbar ist als bei ihm
daheim. So ist es auch mit den magischen Orten, zu denen wir vielleicht
als Kinder Ausflüge hin unternommen haben in den Ferien Orte
voller Geheimnisse, voller Schauder, mächtige Trutzburgen ebenso
wie quatschendes Moor, das dunkel, schwarz und hungrig auf uns lauerte.
Iris Schürmann-Mock hat sich mit Katharina Meyer aufgemacht und
diese Orte besucht: Nordseedeiche, Groß Raden, Teufelsmoor,
Externsteine, Brocken, Wartburg, Heisterbach, Loreley, Disibodenberg,
Blautopf, Neuschwanstein, Burg Dürnstein und Burg Aggstein,
Untersberg, Rütli, Pilatus. Alle Namen bringen in uns etwas zum
Klingen, ein ach ja, da war das und jenes, wie ein
Erinnerungshauch erstehen Bilder in unserem Kopf, ganze Sagengestalten
erheben sich.
Das Buch ist ein magisches Lesebuch. Katharina Meyers Fotos sind der
eine Teil, sie hat mit Blick für die gesamten Szenerie, aber auch
die Kleinigkeiten am Wegrand Stimmungen eingefangen, die den Leser
direkt hineinziehen, ihn förmlich das Wasser rauschen, den Nebel
feucht auf der Haut spüren lassen. Es sind keine
Horror-Schocker-Fotos, keine billige Effekthascherei, sie malt mit der
Kamera. Jedem Ort wurde ein Text vorangestellt, der genau für
diesen Ort geschaffen wurde oder so gut passt, dass er zumindest dafür
entstanden sein könnte. Ausführliche Bildbeschreibungen,
wunderschöne Zeichnungen am Seitenrand, ein Gang durch alle
Jahreszeiten und Landschaften machen das Buch zu einem eigenen
Kraftplatz. Als ströme die Macht der Externsteine durch die Fotos
und die Texte in einen, als sähe man Luther an seinem Schreibpult,
die gewaltige Einsamkeit des Polatus, der Brocken im Winter mit den Krähen,
die auf ihre Hexen zu warten scheinen, das Farbspiel im Moor all
das sind Orte, an die Iris Schürmann-Mock den Leser entführt.
Sie stellt die Geschichte des Ortes vor, seine Geschichten, seine Sagen,
Fakten überall steckt Magie, Geheimnis, Zauber. Wer es nicht
verlernt hat, mit Kinderaugen zu sehen oder wer sich diese unschätzbare
Fähigkeit wieder aneignen möchte, hat mit diesem Buch eine großartige
Möglichkeit, längst Vergessenes wieder auferstehen, einen Teil
der eigenen Identität, der Prägungen bewusst zu erkennen. Man
kann sich in den Texten und Bildern verlieren, träumen, spüren,
dass es Orte gibt, an denen Geschichten und Geschichte mit Händen
greifbar werden. Orte haben etwas zu erzählen. Im Buch kann man das
erfahren, wenn man beim nächsten Ausflug einen der Orte aufsucht,
wird man sie neu entdecken können die Orte der Kindheit, der
eigenen kulturellen Wurzeln, des Staunens, des Rieselns über den Rücken,
das man als Erwachsener kaum mehr kennt, das Buch bringt es zurück.
Davon abgesehen ist es einer der berühmten Gerstenberg-Bildbände,
die einen daran erinnern, wie schön es ist, ein sorgsam gestaltetes
Buch in Händen zu halten, in dem Bild und Text eine Einheit sind,
ein Buch, das alle Chancen hat, in die Rubrik Lieblingsbücher
zum Schmökern für die Tage, an denen die Welt draußen
bleiben muss aufgenommen zu werden. Für die Praktiker unter
den Lesern gibt es einen ausführlichen Anhang mit Adressen und
Anfahrtsrouten. Damit keiner die olle Ausrede benutzt, er würde ja
mal hinfahren, aber wo, bitte schön, ist denn die Loreley zu
finden? Das Titelbild ist übrigens preisverdächtig. Schade,
dass es noch keine Bücher gibt, bei denen, schaut man darauf, eine
Musik erklingt. Wagner? Herr der Ringe? Jedenfalls dramatisch!
csc |
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