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Hammerhart klatscht Chotjewitz dem Leser die Realität um die
Ohren. Das tragische Ende von Mira M., Popstar, in einem Aquarium. Die
kaputten Geschichten ihrer Freunde, mit denen sie Wegstrecken ihres viel
zu kurzen Lebens teilte. Als Mira stirbt, ist sie berühmt und reich
und von ihren Freunden war kein Aas da, als ihr das olle Handy in das
bescheuerte Aquarium fiel und der miese Aal sie biss, als sie versuchte,
es rauszufischen. Eigentlich war es nur der Aal mit seinen scharfen Zähnen,
dass Mira ohnmächtig wurde und jetzt tot ist. Eigentlich, denn
sonst wäre Mira M. weiterhin ein Popstar oder eben ein gewesener
Popstar, geht ja schnell in diesem Geschäft mit der Traumwelt der
Teenies.
Chotjewitz kommt vom Theater und das merkt man hervorragend
schneidet er die Kapitel hintereinander, dass man das Buch nicht mal
dann aus der Hand legen mag, wenn einem das Leben von Mira M. wurscht wäre.
Isses aber nicht und das liegt daran, dass Chotjewitz hier die
Lebengeschichte mehrerer Personen erzählt, wie sie sich tausendmal
jeden Tag zuträgt, nur weiß man es nicht, glaubt es nicht und
wenn mans wüsste, würde mans ohnehin ignorieren.
Zucka und Melody, Rosa und Kralle und Jackson begleiten Mira auf
manchen Strecken ihrer Lebensreise. Kaputte Gestalten, zerbrochen an
unerfüllten Träumen, gescheitert an zu engem Rahmen, in dem
sie nicht mal Lebenskoordinaten festmachen konnten, weil kein Raum war,
die Arme zu heben. Geflüchtet aus Afrika in einem Container, fast
erstickt, verdurstet, landen ein paar ausgemergelte Gestalten auf dem
Weg zu ihrem Lebenstraum in Deutschland, landen in einer
Auffangeinrichtung und jeder versucht, mit dem geschenkten Leben das
Beste für sich rauszuholen. Musik verbindet die Freunde, Musik, die
ausdrückt, wo Worte versagen, wo der Verstand weggekifft ist, wo
man nie gelernt hat, etwas zu formulieren. Aber singen, schreien,
rappen, in knüppelharte Riffs dreschen kann mans, das ganze Unglück,
die Sprachlosigkeit, die Sehnsüchte, die Ängste, die Stimmen,
die einem im Nobelhaus überfallen, in das der reiche
Plattenproduzent seine Kunstprodukte Melody und später Mira M.
einziehen lässt, in eine Welt, die so kalt ist, dass der Aal fast
gefriert, aber leider nur fast, denn er hat noch genug Energie, um Mira
M. zu beißen, die Mira, die damit fertigwerden will, dass ihre
Heimat, Jugoland, geteilt ist in Serben und Kroaten, die sich
gegenseitig das Leben zur Hölle machen, deren große Liebe
Jackson lieber wieder zurück nach Afrika geht, dem Land, aus dem er
im Container geflüchtet ist, als sich permanent selbst zu belügen,
deren Freunde allesamt versuchen, aus Puzzleteilen, die sie im
Abfalleimer des Lebens finden, eine neue Existenz aufzubauen, die schön
ist, die erfolgreiche Menschen zulässt, die glücklich macht.
Mira schafft den Hit, Mira ist ganz oben, Mira tourt und knallt sich
die Birne zu, weil sich nur so der Erfolg aushalten lässt. Und Mira
muss sich mit Melody auseinandersetzen, die behauptet, der Tophit, mit
dem es Mira geschafft hat, stamme von ihr. Mira Melody das
Appartement, der Aal, die Technik, die reingeschobenen Handys, der Ruhm
und die totale Einsamkeit, der Absturz das sind die Zutaten in
Chotjewitz' waghalsigem Abenteuer durch die Sehnsuchtswelt der Kiddies,
die nicht sehen, dass hinter diesen Erfolgen oft der Preis steht, dass
man mit seinem Leben, seiner Identität zahlt. Zahltag ist schnell
in dieser Welt der ups and downs, Abstürze sind Alltag, wen
interessiert es schon, Hauptsache, die Quote stimmt und der Rubel rollt.
Was sind schon Menschen wert?
Ein Buch, das den Vorhang hochhebt, vor dem die Glitzerwelt aufgeführt
wird, ein Buch, das nicht nur vom Starruhm und seinen Lügen
berichtet, sondern auch aufzeigt, dass die Welt ein Dorf ist und jeder
Versuch, auf dem Marktplatz eine Rede zu halten, ein Schuss ins eigene
Knie sein kann. Schöne Jugend? Erstrebenswert, beneidenswert? Oder
vielleicht doch eher eine gefährdete Spezies auf dem Weg zu sich
selbst? Chotjewitz schildert alles, hart, gnadenlos und vor allem
authentisch.
csc |
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