NEU Kim Fupz Aakeson/Eva Eriksson: Erik und das Opa-Gespenst
Kim Fupz Aakeson: Ulla und alles
Deutschen Down-Syndrom InfoCenter: Albin Jonathan
Isabel Allende: Im Bann der Masken
Avi: Crispin – Ein Leben vogelfrei
Anna Bähler: Das Geheimnis von Schloss Augenspuk
Paul Bajoria: Schwarze Spuren
Elsa Beskow: Das Sonnen-Ei
Gabriele Beyerlein: Der schwarze Mond
Livia Bitton-Jackson: 1000 Jahre habe ich gelebt
Sabine Blazy: Der dunkle Turm
nach oben NEU Kirsten Boie: Skogland
Frank Cottrell Boyce: Millionen
NEU Quint Buchholz: Der Sammler der Augenblicke
Melvin Burgess: doing it
Melvin Burgess: Im Bann der Hexenkräfte
Kate di Camillo: Despereaux
Michael Chabon: Sommerland
David Chotjewitz: Crazy Diamond
Suzanne Collins: Gregor und die graue Prophezeiung
NEU Pam Conrad: Die Wahrheit über Mary Walker
Miriam Cordes: Wer kommt mit auf die Arche Noah?
Valérie Dayre: Lilis Leben eben
nach oben Silke Declerck: Wie die Wiese entstand
Walter Diem: Die schönsten Murmelspiele
Georg Dreißig: Aliyeh
Daniela Drescher: Komm mit ins Elfenland
Zoran Drvenkar: Sag mir, was du siehst
Kristina Dunker: Schmerzverliebt
Stan van Elderen: Der Fluch des Magiers
NEU Erik Erikson: Die Nacht der Wölflinge
Josephine Evetts-Secker/Helen Cann: Mütter und Sönne
Josephine Evetts-Secker/Helen Cann: Väter und Töchter
Jackie French/Bruce Whatley: Tagebuch eines Wombat
Herbert Friedmann/Tina Zang: Trapped
nach oben NEU Jostein Gaarder: Das Schloss der Frösche
NEU Rabbi Marc Gellman: Himmlische Helfer
Johann Wolfgang von Goethe/Peter Schössow: Meeres Stille und Glückliche Fahrt
Renate Grünewald/Antonie Schneider: Pétö, der Zauberer
Axel Hacke/Michael Sowa: Der weiße Neger Wumbaba
Wolfram Hänel/Uli Waas: Als die Schneemänner Weihnachten feierten
Esther Hautzig: Die endlose Steppe
Christoph Hein: Mama ist gegangen
Wolfgang und Heike Hohlbein: Midgard
Janosch: Das große Buch der Kinderreime
NEU John Kilaka: Gute Freunde
NEU Werner Kuhfuss: Die Waldorfkindergartenpädagogik
Viveca Lärn-Sundvall: Schwein gehabt, Eddie
nach oben Iain Lawrence: Die Tochter des Leuchtturmwärters
Marjaleena Lembcke: Die Fremde im Garten
Waltraut Lewin: Samoa
Lois Lowry: mein stiller freund
Christa Ludwig: Carlos in der Nacht
Carolyn Mackler: Die Erde, mein Hintern und andere dicke runde Sachen
NEU Anne Möller: Nester bauen, Höhlen knabbern
Matthew Morgan/Samantha Barnes: Der kleine Moses
Mirjam Mous: ich wollte es wäre gestern
Garth Nix: Sabriel
Han Nolan: Born blue
Joyce Carol Oates: Mit offenen Augen
nach oben Manuela Olten: Muss mal Pipi
Kenneth Oppel: Wolkenpanther
NEU Gary Paulsen: Das blaue Licht
Isbel Pin: Die Königin der Blumen
NEU Mirjam Pressler: Die Zeit der schlafenden Hunde
Mirjam Pressler: Wundertütentage
Philipp Pullman: Das Banner des Roten Adlers
Friedrich Recknagel/Maja Dusíková: Sarahs Weide
Dietlof Reiche: Keltenfeuer
NEU Madonna Ritchie/Rui Paes: Billie Bargeld
NEU Angie Sage: Septimus Heap: Magyk
Axel Scheffler: Der magnetische Bauernhof
nach oben Karla Schneider: Glückskind
Peter Schössow: Gehört das so? Die Geschichte von Elvis
Sedgwick: Das Buch der toten Tage
Günter Spang/Loek Koopmans: Ochs und Esel
Andreas Steinhöfel: Der mechanische Prinz
Andreas Steinhöfel: Die Mitte der Welt
Anu Stohner/Henrike Wilson: Das Schaf Charlotte
Lilli Thal: Mimus
Emma Thomson: Felicity Wunschfee: Magisches Durcheinander
Johanna Thydell: An der Decke leuchten die Sterne
Barbara Veit: Hanna liebt nicht mehr
Cynthia Voigt: Elske, Die Vertraute der Königin
nach oben NEU Mats Wahl: Schwedisch für Idioten
NEU Robert Walser/Käthi Bhend: Einer, der nichts merkte
Sarah Weeks: So B. It. Heidis Geschichte
Ruth White: Nennt mich einfach Tad
NEU Jujia Wieslander/Sven Nordqvist: Mama Muh und der Kletterbaum
Michael Dudok de Wit: Vier Biber in der Nacht
Ursula Wölfel: Ein Haus für alle
Tina Zang: Panic on the set. Panik am Set

Ein zärtlicher Abschied vom Großvater

Kim Fupz Aakeson/Eva Eriksson: Erik und das Opa-Gespenst. Aus dem Dänischen von Dagmar Brunow. 28 Seiten, durchgehend farbig illustriert. 10,90 Euro. Oetinger Verlag. ISBN 3-7891-6251-5.

nach oben Eriks geliebter Opa ist gestorben. Einfach so, am Herzinfarkt und Erik ist tieftraurig. Eriks Mama sagt, der Opa sei jetzt ein Engel im Himmel und Papa tröstet Erik, Opa würde bald zu Erde. Alles Käse, das weiß Erik, denn der Opa ist weder ein Engel noch Erde, er ist ein Gespenst und kommt jede Nacht bei Erik vorbei. Deswegen ist Erik auch tagsüber so müde, dass er nicht mehr in den Kindergarten gehen kann. Der Opa hat schon so seine Probleme mit dem Gespensterdasein, da hilft auch das Gespensterbuch von Erik nicht wirklich weiter. Klar ist es lustig, dass Opa jetzt durch Wände einfach so durchgehen kann, aber Opa meint, es sei nicht wirklich toll, weil er zwar da, aber irgendwie doch nicht richtig da ist. Im Gespensterbuch finden Erik und Opa einen ganz wichtigen Hinweis: Man wird ein Gespenst, wenn man noch etwas erledigen muss, das einem auf der Seele brennt. Aha! So ist das also! Jetzt müssen Erik und Opa nur herausfinden, was denn dem Opa auf der Seele geblieben ist. Zunächst gehen sie in Opas Haus, ob er da vielleicht etwas vergessen hat. Opa denkt nach. Er erinnert sich an herrliche Momente in seinem Leben, an Lustiges, als Eriks Papa ihn angepinkelt hat zum Beispiel und wie die Familienkatze hieß. Doch was Erik auch vorschlägt – das alles war es nicht gewesen. In der nächsten Nacht tigern Opa und Erik wieder durch die Gegend, sie klappern das ganze Dorf ab und immer noch fällt Opa nicht ein, was er vergessen hat. In der Folgenacht ist Opa nicht da. Erik rennt in Panik durchs Dorf – kein Opa. Nirgends. Als er tief bedrückt nach Hause kommt, sitzt ein grinsender Gespensteropa auf der Kommode. Opa weiß, was er vergessen hat. Er lässt Erik erzählen, was sie beide gemeinsam unternommen haben, vom Angeln übers Sandburgenbauen bis hin zu den schmutzigen Liedern und der Begeisterung für Omas Leber. All die gemeinsamen Momente steigen in der Erinnerung von Erik und seinem Opa auf, alles, was die beiden zusammengeschmiedet hat. Dann müssen beide weinen, denn sie haben begriffen – darüber haben sie zu Opas Lebzeiten nie gesprochen, wie wichtig sie einander waren. Und das gemeinsame Weinen löst den Stein aus Opas und Eriks Brust. Als Opa dann durch die Wand nach draußen geht und in der Dunkelheit verschwindet, winkt Erik fröhlich hinter ihm her. Opa und er haben gemeinsam so vieles erlebt, dass Opa jetzt in aller Ruhe tot sein kann, die wunderbare Zeit miteinander ist ein gewaltiger Schatz im Leben der beiden Freunde. Und nun weiß Erik auch – am nächsten Tag kann er wieder in den Kindergarten. Alles ist gut.
Wenn ein Großelternteil gestorben ist, wissen viele Eltern nicht, wie sie mit ihren Kindern darüber sprechen sollen. Das Buch von Aakeson und Eriksson ist so unglaublich sensibel erzählt und gezeichnet, so liebenswert, so tieftraurig und wunderschön, dass es in jede Familie gehört. Der Opa ist ein richtiger Opa und Erik „sein Erik“, den Opa erst loslassen kann, nachdem sie sich voneinander quasi ein bisschen verabschiedet haben. Und der Moment, in dem beide gemeinsam weinen, ist auch der Augenblick, in dem der Leser mitweint. Genau das ist es auch – das löst so vieles an Traurigkeit auf. Wunderschön erzählt, wunderschön gezeichnet, preiswürdig und berührend.
csc

Herz ist Trumpf

Kim Fupz Aakeson: Ulla und alles. 126 Seiten, kartoniert. 6,90 Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-37193-8.

nach oben Nachdem er seiner Mutter mit der Bratpfanne ins Gesicht gehauen ist, ist es klar – er ist gaga. Ab ins Heim, Pillen rein und Ende. Der Ich-Erzähler schildert relativ schnörkellos ein Stück weit seine Lebensgeschichte, seinen Alltag im Heim mit all den anderen Bewohnern seiner Station, er berichtet von seinem Freund Willy, der so stark ist und an den Indianer aus „Einer flog über das Kuckucksnest“ erinnert. Höhepunkt des Alltags ist nicht das Basteln von Untersetzern, sondern der Abend, dann darf er das Video gucken „Herz ist Trumpf“. Ein Film, in dem eine vom Leben abgewatschte Frau namens Linda versucht, ihre Würde zu wahren. Der Film für den Erzähler, aus dem er alle seine Lebensweisheiten hat, der ihm hilft, jeden Tag zu überstehen, der ihn alles gelehrt hat und in dem Linda spielt, die Traumfrau.
Als er erfährt, dass Linda eigentlich Ulla Vilstrup heißt und auch noch in seiner Stadt wohnt, ist ratzfatz klar: Willy muss mit und beide müssen sie hin zu dieser Linda, die Ulla heißt. Ein Ausbruch aus der Geschlossenen ist nicht gerade einfach und dass er gelingt, ist harte Planung. Willy wird bald wieder aufgegriffen, man kann ihn einfach nicht übersehen. Aber dem Erzähler gelingt es, bis zu Ulla Vilstrups Tür zu kommen.
Dort der Schock – die großartige, schöne, bewunderte und geliebte Linda ist eine alte, kranke Frau, ein Wrack, das sich zur Türe schleppt. Sie lässt den Fan eintreten, hört sich an, was er erzählt und erlaubt ihm, mit ihr zusammen das Video anzugucken. Dann wird es Zeit, den Rückweg in die Geschlossene anzutreten. Der Erzähler wird wieder jeden Abend Herz ist Trumpf anschauen und Ulla irgendwann sterben. Das ist glasklar. Was aber Aakeson erzählt, besticht durch die lapidare Darstellung dessen, was ist, er schildert schnörkellos den Alltag, die Gedanken des Lindafans und zeigt auf, dass ein Außenstehender in keinem Fall auch nur die geringste Ahnung hat, welche Träume, Gedanken und Sehnsüchte in einem Menschen schlummern und wie groß die Macht der Liebe ist.
csc

Mutmachbuch für alle!

Albin Jonathan, Unser Bruder mit Down-Snydrom. Herausgegeben vom Deutschen Down-Syndrom InfoCenter. 28 Seiten, gebunden. Helmut Seubert Verlag. ISBN 3-926-849-12-6.

nach oben Albin ist ein Downie. Ein Kind mit Down-Syndrom. Er wächst mit mehreren Geschwistern auf und seine ältere Schwester Lena erzählt in diesem Buch mit vielen Bildern aus dem Alltag der Familie, wie es sich mit Albin so lebt. Wie es zum Down-Syndrom kommt, wird verständlich erläutert und das Buch verschweigt auch nicht die Probleme, die Menschen mit dieser Symptomatik haben. In erster Linie aber ist es ein Mutmachbuch. Für alle Familien, in die ein Downie geboren wird. Für alle, die mit ihnen umgehen, für die Geschwister, die häufig Hänseleien ausgesetzt sind. Für alle, die keine Behinderung haben, damit sie erfahren, wie das Leben mit Albin aussieht.
Was man anhand der Bilder sofort sieht, ist das hervorstechendste Merkmal aller Downies: Ein strahlendes Lachen, dem man sich nicht entziehen, das auch auf das missmutigste Gesicht einen Sonnenkringel malen kann. Downies sind Sonnenscheine. Sie sind mutig, sie sind zäh, sie sind liebevoll, sie trauen sich was und sie sind langsamer, öfter krank als andere und können mächtig ihre Familie nerven. Sprich – sie sind ganz normale Kinder. Dass sie zu Erwachsenen heranwachsen können, die ihren Platz in unser materialistischen Welt mit ihrer Verherrlichung von Jugend, Schönheit und Intelligenz (welche?!) behaupten können, ist die tägliche oft verzweifelte Kampferfahrung von Eltern und Betreuern, Lehrern und Ausbildern. Wer nicht perfekt ist, wird aussortiert, Alte ins Heim, Behinderte hinter Schloss und Riegel, anders ist fremd und fremd muss weg.
Das Buch baut Brücken. Nicht für die, die das nicht brauchen, nämlich die Familien, in denen behinderte Menschen unter nichtbehinderten aufwachen, sich durchsetzen müssen, in denen Rücksichtnahme, Verzicht, aufeinander achten tägliche Übungen sind. Aber für die, denen Behinderung fremd ist, die aber wissen, dass fremd nur ängstlich und unsicher macht, solange man es nicht kennt. Insofern ist ein Wonneproppen wie Albin ideal, um die Leserherzen zu gewinnen.
Erstaunlich, dass eine Gesellschaft wie unsere es nötig macht, dass so ein Buch erscheint. Kinder brauchen es vielleicht, wenn in ihrem Lebensumfeld ein Downie auftaucht. Ansonsten sind sie die unbefangensten Mitmenschen, die problemlos Menschen integrieren, die anders sind, solange die selbst aufgestellten Regeln beachtet werden. Wir Erwachsenen haben die Scheren im Kopf, die Blockaden, die Abneigungen. Oder, wenn wir selbst ausreichend Erfahrung auf dem Gebiet haben – wir wissen um die Probleme, wenn das niedliche kleine behinderte Kind ein Erwachsener wird, der besondere Betreuung braucht. Das ist eine Aufgabe, der sich die gesamte Gesellschaft zu stellen hat. Es gibt immer mehr behinderte Menschen. Wir werden immer älter. Es kommt der Tag, an dem wir nicht die gesamte Landschaft zubetonieren können mit Heimen für irgendwelche Menschen, die uns nicht ins heiter-weiter-Lifestyledasein passen. Öffnen wir die Türen wie Albin die Herzen. Wir können nur voneinander lernen. Von Menschen mit Down-Syndrom können wir eine Menge lernen. Allem voran das Lachen.
Das Deutsche Down-Syndrom InfoCenter bietet eine Menge Sachinformationen an in ganz verschiedenen Bereichen rund um das Thema. Interessenten können sich hinwenden an: Deutsches Down-Syndrom InfoCenter, Hammerhöhe 3, 91207 Lauf a.d.Pegnitz, Tel. 0 91 23/98 21 21 oder im Internet unter www.ds-infocenter.de. Dort kann man auch das Buch bestellen. Eine große Hilfe ist eine Puppe mit Down-Syndrom, denn sie schafft ohne Worte eine Verbindung. Sie ist zu beziehen bei Christa Sonst, Weisendorfer Straße 2a, 01056 Erlangen-Dechsendorf, Tel. 0 91 35/88 00 oder im Internet unter www.spielzeugstuebchen.de
csc

Befreiung der Sklaven

Isabel Allende: Im Bann der Masken. Aus dem Spanischen von Svenja Becker. 336 Seiten, Halbleinen. 16,90 Euro. Hanser Verlag. ISBN 3-446-20516-0.

nach oben Lang und mit Sehnsucht erwartet – Isabel Allendes letzter Band der Trilogie um Nadia und Alex, die mal wieder mit ihrer Großmutter Kate unterwegs sind. Dieses Mal führt sie die Reise nach Afrika, mitten in den Dschungel. Dort schafft ihr Flugzeug auf der Suche nach vermissten Missionaren eine kleine Bruchlandung und schon steckt die kleine Gruppe mitten in der Katastrophe. Kosongo ist der König, der um Ngoubé herum ein Schreckensregime errichtet hat. Der Milizenführer Mbembelé hält das Volk der Pygmäen, die er für den König versklavt hat, in Schach, aber ebenso das eigene Volk. Sombe, der Zauberer, verbreitet zudem in dem abergläubischen Volk großen Schrecken. Diese Trias sorgt durch Terror auf allen Ebenen dafür, dass sich weder das Volk noch die Pygmäen zutrauen, sich jemals gegen die grausame Herrschaft zu erheben. Die Pygmäen werden dazu verurteilt, Elefanten wegen des Elfenbeins zu jagen – ein Spiel auf Zeit, denn Elefanten gibt es immer seltener. Schaffen die Pygmäen das Soll nicht, werden ihre Kinder an Schmuggler für einen Hungerlohn verschachert.
Alex und Nadia nehmen den Kampf gegen die Drei auf. Sie verbünden sich mit den Geistern der guten Ahnen, der rechtmäßigen Königin Nana-Asante und den Pygmäen, die sie überzeugen können, indem sie ihnen ihr vom König gestohlenes magisches Amulett wieder bringen, mit dem ihre eigene Macht und ihr Selbstbewusstsein verknüpft sind.
Soweit die Handlung. Garniert ist das Ganze mit diversen Nebensträngen wie Kates Erlebnisse als „Gefangene“ Kosongos mit der Gruppe aus dem Flugzeug. Als finale grande gibt es ein grandioses Chaos, in dem die Bösen besiegt werden und Recht und Ordnung wieder einkehren.
Wer diese Beschreibung langweilig findet, liegt so falsch nicht. Von Isabel Allende hat man schon Besseres gelesen. Schwache Story, vorhersehbares Ende und nicht mal die Auflösung des Rätsels der Masken vermag den Leser zu überzeugen. Wer auf komplette Werke steht, wird sich den dritten Band der Ordnung halber zulegen. Allendefans müssen das sicherlich auch. Für alle anderen gilt – das muss nicht sein. Lieber zu Allendes alten Titeln greifen.
csc

Von der Freiheit des Menschen

Avi: Crispin – Ein Leben vogelfrei. Aus dem Amerikanischen von Cornelia Stoll. gebunden, 256 Seiten. 13,50 Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-58108-8.

nach oben England 1377. Die Mutter des jungen Crispin stirbt. Im Dorf nicht gerade beliebt, muss Crispin mit ansehen, wie ihre Hütte niedergebrannt wird. Der böse Gutsvogt Aycliffe bezichtigt den Jungen des Diebstahls, den er nicht begangen hat und erklärt ihn für vogelfrei. Crispin gelingt die Flucht in die Wälder und lernt einen umher wandernden Gaukler, Bär genannt, kennen. Bär nimmt Crispin als Gehilfen auf und bald bemerkt der Junge, dass es der Mann sehr gut mit ihm meint. Immer wieder geraten sie in problematische Situationen, denn die Häscher sind nach wie vor hinter Crispin her – das erstaunt den Gaukler, denn einem armen Jungen setzt man normalerweise nicht nach, es muss also etwas Besonderes an Crispin sein.
Bär tätigt einige ominöse Geschäfte und Crispin begreift, dass es dem Mann um die Freiheit der Menschen geht. In einer spannenden Szene erfährt Crispin, wer er eigentlich ist und versteht, weshalb man ihn finden und töten möchte. Gleichzeitig wird Bär gefangen genommen, doch Crispin wächst in dieser schlimmen Situation über sich hinaus und schafft es, sich und Bär zu befreien, hinein in ein eigenes, selbstbestimmtes Leben. Spannend und nachvollziehbar, anhand des Schicksals des Jungen wird aufgezeigt, wie wichtig die persönliche Freiheit für einen Menschen ist.
csc

Traue deinen Augen nicht!

Anna Bähler: Das Geheimnis von Schloss Augenspuk. 128 Seiten mit Illustrationen von Christoph Derron, kartoniert. 5,90 Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-35359-6.

nach oben Optische Täuschungen faszinieren Menschen seit jeher. Wie häufig jedoch das Auge gefoppt wird, ist einem gar nicht so bewusst. Anna Bähler hat eine Vielzahl optischer Täuschungen in eine spannende Geschichte verpackt, so dass der junge Leser von einem Augenrätsel zum anderen wandert und dabei die bedeutendsten Illusionen kennen lernt.
Tim kann in den Ferien nicht ans Meer fahren, sondern muss mit seinen Eltern das Haus seines Großonkels ausmisten. Was zuerst nach ätzender Langeweile aussieht, entpuppt sich als megaspannende Reise auf der Suche nach Schloss Augenspuk, als Tim das Buch der Illusionen findet. Um hinter das Geheimnis dieses Schlosses zu kommen, muss Tim so manche Rätselnuss knacken und die Aufgaben sind manchmal ziemlich verzwickt. Tim bemerkt bald, wie seine Mitforscher auch, die mit ihm auf der Suche sind – nichts ist so, wie es aussieht!
Das Buch ist toll aufgemacht. Erzählender Text wechselt sich mit Aufgabenkästchen ab und den Bildern, in denen die Rätsel stecken. Wer gar nicht weiterkommt, bekommt Auflösungshilfen am Ende des Buches. Hier wird gewaltig viel Wissen über das Sehen vermittelt, ohne dass es irgendwie schulmäßig klingt oder öde ist. Mit Spaß liest man sich durch die Seiten und traut seinen Augen kaum, das ist auch gut so, nichts lässt sich leichter austricksen als das menschliche Auge. Möglich, dass man so manches Mal Kreisel vor Augen hat! Ein Buch, das man allen kleinen Forschern in die Hand drücken will, die gerne mal ein Geheimnis enträtseln. Ideal für die Ferien und alle Regentage!
csc

Für spannende Lesestunden

Paul Bajoria: Schwarze Spuren. Roman. Aus dem Englischen von Nina Schindler. 340 Seiten, gebunden. 14,90 Euro. Verlag Beltz&Gelberg. ISBN 3-407-80942-5.

nach oben Schwarze Spuren Mog ist Druckerlehrling in London im vorletzten Jahrhundert. Zu seinen Aufgaben gehört das Drucken von Steckbriefen. Eines Tages druckt er einen besonders grusligen Mörder auf die Fahndungsplakate. Mog ahnt nicht, dass er bald in ein lebensgefährliches Abenteuer geraten wird, in dem es um ein Messingkamel, ein seltsames Pulver, das die Welt verzerrt, einen Maat und einen Jungen geht, der Mog zum Verwechseln ähnlich sieht. Mog und sein Hund Klimper möchten gern ein ordentliches Leben führen, denn als Waise hat er es nicht leicht. Es ist ein Riesenglück für ihn, dass ihn der Drucker aufgenommen hat und ihn in einem Verschlag über der Druckerei wohnen lässt.
Das London der Zeit ist ein Hexenkessel, ein Eldorado der Diebe, Gangster, Mörder, Zocker und anderer Unterweltgestalten, Spionage, Erpressung, Raub sind das tägliche Brot in den düsteren Gassen und grusligen Schänken. Es ist ein grusliges Geheimnis, dem Mog auf die Spur kommt, doch er trifft in diesem riesigen Menschenhaufen Londons genau die Menschen, die Licht in seine Herkunft bringen und so ist am Ende nicht nur ein Verbrechen aufgeklärt, sondern die einzigen Überlebenden von Mogs Familie sind vereint. Mog findet neue Freunde und schafft es, anständig durch das Chaos zu kommen.
Man merkt Bajorias Buch an, dass er ausreichend Filmerfahrung hat, die Spannung ist über das ganze Buch hinweg so gut gehalten, dass man beim Lesen jede Störung als ärgerlich empfindet. Ein dicht gewebter Stoff, spannend, mit tiefen Einblicken in die Unterwelt Londons und die Probleme von Jugendlichen dieser Zeit, aber auch ein Plädoyer für Menschlichkeit, die an unerwarteten Orten aufscheint wie ein Licht in der Finsternis.
csc

Wunderschöner Klassiker

Elsa Beskow: Das Sonnen-Ei. 32 Seiten, geb. 13,50 Euro. Urachhaus Verlag. ISBN 3-8251-7494-8.

nach oben Was ist das wohl für ein großes orangefarbenes Ding, das plötzlich mitten im Wald auf dem Boden liegt? Für die kleine Elfe ist klar, dass es sich nur um ein Sonnen-Ei handeln kann, das aus den Wolken gefallen ist und dass nun von der Sonne gesucht wird. Aber wie kann sie es ihr wieder zurückbringen? Sie verbreitet die Neuigkeit im ganzen Wald und berät sich mit ihren Freunden. Jeder hat eine andere Idee dazu – bis sie auf einmal merken, dass das Ei einen köstlichen Saft enthält. Da klaut ihnen eine freche Krähe die Apfelsine! Zum Trost darf die kleine Elfe im Herbst mit ins Sonnenland fliegen, wo die Orangen wachsen, sehnlich zurückerwartet von ihren Freunden, denn ohne ihren Willkommen-liebe-Sonne-Tanz kann es nicht Frühling werden.
Die zarte Elfe mit ihren rotblonden Locken und die Orange bilden einen schönen Farbkontrast zu dem dunklen Grün des Waldes. Leichtfüßig und strahlend wird die sanguinische Elfe von allen gemocht, von dem Tunichtgut Zapfe, dem alten Wächterwichtel Krummwurz und von allen Tieren. Ihre überschwängliche Lebensfreude färbt auf alle ab und lässt sich nur kurz trüben. Im Sonnenland ist sie ganz in ihrem Element und fühlt sich doch ihrem Wald verbunden.
Das Reprint von 1932 hat nichts von seinem Zauber verloren und erobert auch heute noch die Herzen kleiner Mädchen (und ihrer Großmütter) im Sturm.
Ulrike Schmoller

Was man mit magischen Kugeln anstellen kann

Gabriele Beyerlein: Der schwarze Mond. 317 Seiten, kartoniert. 7,50 Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-35346-8.

nach oben Jens hat die A-Karte erwischt. Seine Familie ist von Bayern nach Hessen gezogen. Das bedeutet, dass ihm mehrere Wochen seiner Sommerferien geklaut werden. Dass er kein Aas kennt, weil Ferien sind. Dass er Zwillingsschwestern hat, die seine Mutter voll beanspruchen und er auch noch das Riesenpech erleben muss, die kreischenden Kleinkinder durch die Gegend zu karren. Und zur Krönung hat er keine Freunde, ach, es ist überhaupt alles nur nervig.
Im Zug allgemeiner Unzufriedenheit will sich der arme Jens von seiner Eisenbahn auf einem Flohmarkt trennen. Dort stechen ihm drei Jungs ins Auge, die er vorher schon öfter gesehen hat. Sie bekommen von einem seltsamen Mann eine magische Kugel mit Anleitung. Jens verfolgt die drei bis zu einem Brunnen im Wald. Am nächsten Tag sind die Jungs verschwunden. Jens fährt zum Brunnen, findet die Kugel und Sekunden später ist er in einer anderen Welt.
Was er da erlebt, liegt jenseits dessen, was sich Jens so vorstellen kann. Der eher ängstliche Junge muss nun das sein, was er sonst nicht ist: mutig, tatkräftig, verwegen, klug und überlegen, will er das Abenteuer lebendig überstehen. Es geht permanent ans Eingemachte. Am Ende war Jens einen halben Tag verschwunden, ehe er wieder auftaucht. Doch was er an diesem halben Tag Erdenzeit gelernt hat, ist gewaltig.
Beyerlein schildert Jens’ Erlebnisse flott und einfühlsam. Die richtige Lektüre für alle, die demnächst umziehen wollen und das notwendigerweise mit ihren Eltern oder gar kleinen schreienden Geschwistern.
csc

Jugend im Holocaust

Livia Bitton-Jackson: 1000 Jahre habe ich gelebt. Eine Jugend im Holocaust. 224 Seiten, mit Glossar, Paperback. Verlag Urachhaus. ISBN 3-7251-7452-2.

nach oben „Ihre erste Frage ist: ‚Wisst ihr, wo wir Trinkwasser herbekommen?‘ Es gibt kein Wasser im Lager, klären uns Hindi und Suri auf. Es gibt schwarzen Kaffee in der Früh und Suppe am Abend. Tagsüber trinken die Lagerinsassen aus dem See. ‚Dem See? Wo ist er?‘ Mami will auf der Stelle hingehen. Suri und Hindi führen uns zu einer großen Pfütze, einem Loch im Boden, das mit trübem Wasser gefüllt ist. Es hat einen unangenehmen Geruch. ‚Davon sollen wir trinken? Es ist faulig! Es ist dreckig! Es stinkt!‘ Voll Schrecken sehe ich meine Kusinen an. ‚Ihr habt wirklich davon getrunken?‘ ‚Ja, wir alle. Es gibt nichts anderes. Wenn du durstig genug bist, ist es dir egal.‘“
Elli Friedmann wird im März 1945 mit ihrer Familie nach Auschwitz verschleppt. Die Schulzeit, die Träume des 13-jährigen Mädchens, die Lebensperspektiven, sind mit einem Schlag auf das nackte Überleben reduziert. Elli Friedmann schildert schnörkellos und deshalb so unglaublich eindringlich und dicht, wie sie versucht zu überleben und welche Solidarität noch möglich ist. Ein Zug transportiert jüdische Frauen aus dem Konzentrationslager, es wird beschossen, viele Menschen sterben auf dem Weg in die Freiheit. In Seeshaupt bleibt der Zug stehen, die Amerikaner öffnen die Türen. Eine Frau tritt an das junge überlebende Mädchen heran: „Wir haben ja von nichts gewusst. Wir hatten doch keine Ahnung. Sie müssen mir das glauben. Haben Sie auch so hart arbeiten müssen?“ „Ja“, flüstere ich. „In Ihrem Alter war das sicherlich schwierig.“ In meinem Alter. Was meint sie damit? „Wir haben kaum etwas zu essen bekommen. Es war schwierig wegen des Hungers. Nicht wegen des Alters.“ „Ich meinte, es ist bestimmt schwierig gewesen für ältere Menschen.“ Für ältere Menschen? „Was denken Sie, wie alt ich bin?“ Sie mustert mich zögernd. „Sechzig? Zweiundsechzig?“ „Sechzig? Ich bin vierzehn. Vierzehn Jahre alt.“ Sie schreit auf, bekreuzigt sich. – Deutlicher kann der Schrecken nicht gezeichnet werden als in der Rückschau von Elli Friedmann, dem Mädchen mit den Träumen aus der Slowakei, die 1951 in die USA und nach Israel ausgewandert ist. Ein Buch, das notwendig ist. Nur wer sich der Geschichte bewusst ist, auch ihrem ganzen Schrecken, wird Anzeichen rechtzeitig erkennen und den Mut finden, sich zu wehren. Im Anhang findet sich eine Zeittafel – die Chronologie des Grauens. Ein ganz wichtiges Buch.
csc

Ein schreckliches Geheimnis

Sabine Blazy: Der dunkle Turm. 320 Seiten, kartoniert. 7,90 Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-35317-4.

nach oben Mit „Der dunkle Turm“ legt die 1972 geborene Autorin Sabine Blazy ihren Debütroman vor und es ist eine spannende Feriengeschichte geworden, die die Leser in ihren Bann zieht und für Gänsehautfeeling sorgt.
Carla wird zu ihrer Tante in Ferien geschickt. In ihrer Familie hat mal wieder keiner so recht Zeit für sie und Carla fühlt sich nicht ganz zu Unrecht ziemlich abgeschoben. Generell hat Carla nichts gegen Tante Anne, sogar den langweiligen Sohn John kann man ertragen, aber die Enttäuschung, dass die gemeinsamen Ferien mit den Eltern geplatzt sind, muss erst einmal verdaut werden. Dass die Tante in einem Schlosshotel Gärtnerin ist, hat sie allerdings nicht gewusst und dass sie schon am ersten Abend bei einem Spaziergang über das Gelände eine seltsame Erscheinung hat, die sie in Panik versetzt, war auch nicht so eingeplant. Ein Mädchen taucht an einem Fenster in einem Turm auf und verschwindet wieder, dabei lebt dort kein Kind, dafür aber umso heftiger der Dorfklatsch, denn auf dem Schloss liegt ein Fluch.
Kathy ist ein Hotelgast mit enormem Wagemut. Gemeinsam mit Carla macht sie sich auf, das Geheimnis des dunklen Turmes zu lüften. Dass allerdings am Ende der Geschichte die beiden mutigen Mädchen, die so nach und nach immer mehr Licht in grauenvolle Ereignisse bringen, beinahe selbst ums Leben kommen, hätte keines der Kinder vorher ahnen können. Am Ende klären sie nicht nur ein Verbrechen auf, sondern retten auch das geheimnisvolle Kind am Turmfenster aus einer grauenhaften Lage.
Eine brauchbare Lektüre für alle, die sich gern ein bisschen gruseln und mit Helden ihres Alters mitfiebern. Ein unterhaltsames Leseabenteuer für Regentage.
csc

Plötzlich Prinzessin

Kirsten Boie: Skogland. 384 Seiten, gebunden. 14,90 Euro. Oetinger Verlag. ISBN 3-7891-3159-8.

nach oben Die kleine Prinzessin von Skogland schreitet hinter dem Sarg ihres Vaters her. Hinter ihr geht Norlin, ihr Onkel, der jetzt die Regierungsgeschäfte von Skogland führt. Ein harter, grauenhafter Tag für Malena, die noch nicht einmal vierzehn Jahre alt ist.
Jarven ist das, was man ein überbehütetes Mädchen nennt. Ihre Mutter achtet sorgsam darauf, dass sie nirgends hingeht, wo es gefährlich werden könnte, dass sie sich benimmt und alles proper ist. Als sie einen Familienstammbaum schreiben soll, reagiert die Mutter ablehnend und so muss sich Jarven eine Familie andichten.
In Skogland bricht der GAU aus – die Prinzessin ist verschwunden. Einfach weg, aus dem Internat. Spurlos. Und das, wo zwischen Nord und Süd die Situation extrem gespannt ist, ein Bürgerkrieg vor der Tür steht. Wer hat die skogländische Prinzessin entführt? Guter Rat ist teuer.
Jarvens Freundinnen gehen zu einem Casting für eine Fernsehrolle. Jarven widersetzt sich dem mütterlichen Verbot und geht mit. Sie wird gecastet und was sie nicht weiß – sie wird mehr oder minder entführt. Nach Skogland. Und dort soll Jarven die Rolle der verschwundenen Prinzessin spielen und damit fängt das Chaos eigentlich an.
Kirsten Boie jagt ihre jugendlichen Leserinnen durch die Seiten, dass es staubt. Das Buch legt kein junger Leser weg, ehe er es nicht durchgefuttert hat. Insofern also Vorsicht, wann Sie Ihrem Nachwuchs das Buch in die Hand drücken, vor einer Mathearbeit wäre es fatal. Es sei denn, Sie haben ein Genie daheim.
Einmal Prinzessin sein – für die schüchterne Jarven ist das schon der Hit und via SMS erlaubt ihre strenge Mutter sogar, dass sie das machen darf. Das an sich ist schon der Hammer, aber als Jarven merkt, was für eine Rolle sie in diesem schmutzigen Spiel um die Macht in Skogland hat, ist sie schon bis zum Hals in Schwierigkeiten. Sie muss sich mit den Rebellen verbünden und die Rolle ihres Lebens spielen, bis sie am Ende erfährt, was es mit den gravierenden Lücken in ihrem eigenen Stammbaum auf sich hat. Am Ende wird klar, dass auch Jarven von königlicher Abstammung ist und zwar ganz anders als gedacht. Skoglands Zukunft steht auf dem Spiel und ein paar jungen Jugendlichen und ihrem Mut ist es zu verdanken, dass der Krieg verhindert werden kann. Doch bis das geschafft ist, geht es rasant zu.
Spannend, fesselnd, ein Hin und Her zwischen der Welt der Schönen und Reichen und dem Alltagserleben von Jugendlichen. Ein echter Lesehit für alle, die immer mal eine Prinzessin sein wollten. Es hat auch Nachteile!
csc

17 Tage für 22 Millionen!

Frank Cottrell Boyce: Millionen. Aus dem Englischen von Salah Naoura. 256 Seiten, gebunden. 14,– Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-55339-4.

nach oben Was macht man, wenn einem eines schönen Abends 22 Millionen vor die Füße fallen? Abgeben und auf Finderlohn hoffen? Kräftig auf den Putz hauen? Damian überlegt nur kurz, dann weiß er: Das Geld ist logischerweise vom lieben Gott, von wem denn sonst! Immerhin landete die Masse Schotter vor ihm, als er Gott gerade vom Tod seiner Mutter berichtet hatte. Nun sind 22 Millionen für eine Mama zwar herzlich wenig, aber vielleicht reicht das Geld wenigstens für ein paar dringend notwendige Anschaffungen des nun frauen- und damit komplett haltlosen Männerhaushalts. Der Trick des großen Bruders Anthony, dass man immer was kriegt, wenn man vom Tod der Mutter erzählt, funktioniert also auch im großen Stil, doch das Geld macht nicht wirklich froh, denn es sind alte Scheine und der Countdown zur Euroumstellung läuft. Noch 17 Tage bis zum Euro. Es eilt also. Was fast harmlos anfängt, entwickelt sich mit rasanter Geschwindigkeit und wird im Lauf der Zeit zu einer extremen Verwirrgeschichte. Am Ende können Damian und Anthony kaum mehr unterscheiden, wer eigentlich ihr Freund ist und aus welcher Ecke Gefahr droht. Die Ereignisse überstürzen sich und am Ende bleibt nach einem rasanten Wettlauf mit der Zeit eine Menge an Erfahrungen und Damian, der traurige kleine Sonderling mit dem Heiligentick, der unrettbar an das Gute und Schöne glaubt, wird bestätigt – alles wird gut. Relativ jedenfalls.
csc

Die Macht der Phantasie

Quint Buchholz: Der Sammler der Augenblicke. Durchgehend farbig illustriert. 48 Seiten, gebunden. 19,90 Euro. Hanser Verlag. ISBN 3-446-19077-5.

nach oben Der Sammler der Augenblicke Max, der Maler, zieht eines schönen Tages in das Haus ein, in dem der Junge, Professor genannt, mit seiner Familie wohnt. Max malt Bilder, die das Kind nicht anschauen darf. Dafür darf er bei Max im Atelier sein, dort singen, seine Hausaufgaben machen, aus dem Fenster schauen und sich mit Max unterhalten. Eines Tages geht der Maler auf Reisen und Max erhält den Ritterschlag – den Schlüssel zum Atelier. Und als der Junge die Tür aufschließt, sieht er, dass Max alle Bilder aufgestellt hat. Jedes einzeln, für ihn ganz alleine. Jedes Bild ist eine Geschichte für sich und der kleine Professor lernt, dass Max eine ganz eigene Sicht der Dinge hat, dass er die Welt sieht, wie sie ist, dass es aber hinter der sichtbaren Welt noch ganz viele Möglichkeiten gibt, die Welt zu sehen. Auf den Flügeln der Phantasie überfliegt der Maler Max die Welt und was seine Bilder berichten, sind Momentaufnahmen eines jeweiligen Augenblicks, der vielleicht nie stattfand, anders war, aber doch exakt in diesem Moment so gefühlt werden konnte und von Max so gemalt wurde, dass der Junge sofort weiß, um was es geht.
Quint Buchholz’ Text ist sanft und hinter den kurzen Sätzen verbergen sich alle Geheimnisse der Welt. Was aber besonders berührend ist, sind die Bilder, die wie Illustrationen fern von Raum und Zeit erscheinen. Es sind ganz realistische Bilder, fast fotogleich, im ersten Teil des Buches, doch wo es um die einzelnen Bilder des Malers Max geht, der dem Jungen damit immer eine ganz spezielle Geschichte erzählt, mischen sich in die realistischen Bilder surrealistische Überraschungen, etwas, das es „in echt“ so nicht gibt, das aber kaum auffällt, weil es sich so harmonisch ins Ganze einfügt. Was Max dem Jungen erzählt hat, hat er aufgemalt, die Schneeelefanten, die Spielmännchen im Schnee, sich selbst im Flurspiegel. Es sind reale Traumbilder, die Max dem Jungen hinterlässt. Und auf der letzten Seite blickt Buchholz weit in die Zukunft – aus dem kleinen Jungen ist wahrlich ein Musiker geworden, der als Professor seine Studenten an der Hochschule unterrichtet.
Ein Buch für Alt und Jung, das von der Macht der Bilder und der Schönheit der Welt erzählt, in sanften, gedeckten Farben, als sei über alles ein wenig ein Schleier gebreitet, den es zu lüften gilt.
csc

Alle tun ES. Nur – wie?

Melvin Burgess: doing it. Deutsch von Andreas Steinhöfel. 352 Seiten, kartoniert. 14,– Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-58131-2.

nach oben Zwischen 15 und 20 wird vermutlich nichts so sehr mystifiziert und überschätzt wie das, was die Menschheit seit Jahrtausenden am Leben hält – Sex. Er ist DAS THEMA, bis zu dem gewaltigen Tag X, an dem sich das ganze Leben verändern wird. Meint man. 99 Prozent der Menschen werden wohl die Erfahrung machen, dass sie keine Leuchtschrift auf der Stirn haben, wenn sie es hinter sich gebracht haben. Die Welt bleibt nicht mal ein bisschen stehen, aber gut, egal, dafür wurden ja durchaus auch schon Kriege angezettelt und es gibt schlechtere Ideen für Nächte und Tage. Jugendliche wissen genau Bescheid. Jawohl. Sie wissen, wie ihre Körperteile heißen. Sie haben im Biounterricht die der Gegenseite genau studiert. Exakt. Hormone, Zyklus, Menstruation, Erektion – alles bestens bekannt. Wäre da nicht das kleine Problem, dass sich lebende Menschen von Schaubildern ein wenig unterscheiden. Ist es Krebs, was am Penis hängt? Geht man damit zum Arzt? Was, eine Vene? Alles bestens, gut durchblutet eben? Wo ist das nächste Mauseloch?! Und wo um Himmels willen steckt man das gute Stück dann rein? Kann man da vielleicht mal einen Wegweiser beleuchten? Liebe Güte. Das wären ja nur die organischen Probleme, die sind ja noch relativ harmlos, das Hauptproblem ist immer: Die, die man will, die kriegt man nicht und die, die man kriegt, die will man garantiert nicht, man hält sie sich halt warm für den Notfall, dass sich sonst nichts ergibt und zum Üben ist es ja allemal brauchbar.
In Doing it erzählen Jugendliche direkt und ohne Filter ihre geheimsten Gedanken. Was alles schief geht, wer welche Bedenken hat, Sorgen, Nöte, die Eifersucht, die Krisen – alles. Liebe und Lust, gepaart mit Wünschen, Ängsten, Vorstellungen und Träumen, gemixt aus Kino, Literatur und Pornoheftchen, Gefühle, Gedanken und überschwappende Hormonwellen.
Wenn man es als Erwachsener liest, muss man grinsen, wenn man fair genug ist, an die Jugend zurückzudenken. Für die Jugendlichen ist das Buch – so sie die Offenheit nicht vollkommen erschreckt und panisch schreiend davonlaufen lässt – vielleicht eine Hilfe, denn sie sehen ihre geheimsten Nöte herrlich gespiegelt in einer Sprache, die ihre ist. Das Buch ersetzt keine sachliche, notwendige und angemessene Aufklärung, aber es ist geeignet, um den Heranwachsenden zu sagen „Hey! Ich versteh dich, verdammt bescheuerte Phase, mach dir keine Sorgen!“
csc

Die Macht seltsamer Fähigkeiten

Melvin Burgess: Im Bann der Hexenkräfte. 176 Seiten, kartoniert. 6,90 Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-35331-X.

nach oben „Flammen-Issy“ wird sie genannt, die zwölfjährige Isabel. Sie wurde Nat, einem Heiler, von einer zerlumpten Frau in die Hand gedrückt mit der Bemerkung, die Mutter sei umgebracht worden und sie selbst auf der Flucht. Als Nat das Bündel öffnet, liegt ein vollkommen verbranntes Kind darin. Der Heiler hat viel Arbeit, bis aus den Wunden wieder ein Mensch wird. Seine Kinder Kate und Ghyll sind vom Zuwachs wenig begeistert, sie haben die Mutter verloren und jeder weitere Esser im Haus bedeutet weniger für die anderen.
Es ist die Zeit der Hexenverfolgung und im Dorf gibt es Hexen. Issy und Ghyll sind zu neugierig, sie beobachten aus einem Versteck heraus ein paar Hexen bei ihren Riten, werden entdeckt und das wird ihnen zum Verhängnis. Wie aus dem Nichts taucht Iohan auf. Eine seltsame Frau, die Issy mit sich nimmt. Was Issy bei Iohan lernt, verändert ihr Weltbild, und als sie begreift, wer sie ist, woher sie kommt und was ihre Aufgabe im Leben ist, muss das Mädchen mit dem grausamen Tod Iohans fertig werden.
Burgess schildert eine entsetzliche Zeit, in der Menschen aus dem leisesten Verdacht heraus umgebracht wurden. Er stellt diesen Hexenverfolgern die Figur Iohans entgegen, die als Hexe verschrieen ist, aber im Grunde nur der Stimme ihres Herzens folgt.
csc

Liebe kann alles

Kate di Camillo: Despereaux. Die unglaublichen Abenteuer einer Maus ohne Furcht und Tadel. 256 Seiten gebunden, mit Leinenrücken. Einband und Illustrationen von Timothy Basil Ering. Übersetzt von Sabine Ludwig. 12,– Euro. Dressler Verlag. ISBN 3-7915-2799-1.

nach oben Lieben Sie Märchen? Lesen Sie gern vor? Wenn Sie Despereaux gelesen haben, werden Sie nie mehr eine Mausefalle aufstellen.
Kate di Camillo schafft es in ihrem neuesten Buch, den Leser vom ersten Satz an in den Bann zu ziehen. Despereaux ist eine kleine Maus in einem Schloss, die ein wenig unglücklich ist. Er benimmt sich kein bisschen so, wie man es von einer ordentlichen Schlossmaus erwartet. Eines Tages geschieht das größte Unglück: Diese Minimaus verliebt sich in die Prinzessin Erbse. Das ist natürlich unerhört und der kleine verliebte Mäusejunge wird vom Mäuserat in den Keller verbannt, gebrandmarkt mit einem roten Faden, der den dort lebenden Ratten das Signal gibt: Hier kommt euer Dessert!
Nebenbei erzählt di Camillo die Geschichte von Roscuro, der Ratte, die sich in das Licht verliebt hat, und die traurige Story von Miggery, die blumenkohlige Ohren hat vor lauter Ohrfeigen und sooo gern mal eine schöne Prinzessin wäre. Das Schicksal bringt alle diese seltsamen Wesen im Schlossverlies zusammen. Die Prinzessin Erbse wird entführt und nur einer kann hier helfen: Der arme kleine Desperaux, der abermals ins Verlies hinuntersteigt und das Wunder vollbringt. Am Ende schafft es der kleine haarige Kerl, er hat es allen gezeigt und es gibt sogar ein Happy End.
Eine traurige, komische, spannende und abenteuerliche Geschichte über die Liebe zum Licht, zur Schönheit, den Mut zum Anderssein und zugleich eine herrlich erzählter Entwicklungsroman mit ungewöhnlichen Stilmitteln.
csc

Nur für Baseballspieler

Michael Chabon: Sommerland. Aus dem Amerikanischen von Reiner Pfleiderer. gebunden, 480 Seiten. Hanser Verlag. ISBN 3-446-20441-5.

nach oben In den USA stand Sommerland monatelang auf der Jugendbestsellerliste. Der Autor ist ein ausgesprochen gut aussehender Mann. Das Buch ist spannend geschrieben.
Aber – in Deutschland wird es der Titel dennoch schwer haben. Hier ist Baseball einfach nicht DER Nationalsport wie in den USA. Und ein Buch, das sich über 480 Seiten hinweg nur durch ein gigantisches Baseballspiel zwischen einer bunt zusammengewürfelten Truppe seltsamer guter Wesen gegen die Bösen, allen voran der Kojote, der die Welt vernichten will, und sein Wildes Heer, schleppt, ist nicht gerade ein Reißer. Vielleicht hätte es geholfen, das Glossar an den Anfang zu stellen, damit der unwissende deutsche Leser auch kapiert, was denn die Bases sind oder wie das Spiel eigentlich funktioniert, dann wäre der Lesespaß höher gewesen. So ist es einfach nur ausgesprochen mühsam, sich durch das Spiel zu lesen und mit Figuren konfrontiert zu werden, die man unter Umständen leichter verkraftet hätte, wäre man nicht über die Maßen damit beschäftigt, zu verstehen, was da wie gespielt wird. So bleibt nach 480 Seiten das eher unliebsame Gefühl übrig, durch eigene Unwissenheit nicht begriffen zu haben, was für ein Spiel das ist und ein leichter Ärger, dass man deshalb kein Augenmerk auf die eigentliche Handlung hatte werfen können. Dazu gesellt sich der böse Gedanke, dass man das vielleicht auch nicht muss.
Es gibt aber auch Positives zu berichten: Ethan Feld, der junge Weltenretter, macht eine wunderbare Entwicklung durch auf dem Weg zu sich selbst. Das ist durchaus rübergekommen, wenngleich der Rest ... Für Baseballfans sicher eine Offenbarung. Für Unwissende – vergessen Sie es. Lernen Sie erst Baseball, dann mag es gehen. Was in den USA begriffen wird, kann hier durchaus terra incognita sein. Netter Versuch. Wenn der Mann beim nächsten Mal aufs Baseball verzichtet, werden wir weiter lesen.
csc

Der Preis des Ruhms

David Chotjewitz: Crazy Diamond. 320 Seiten kartoniert mit Illustrationen von Moni Port. 14,– Euro. Carlsen Verlag. ISBN 4-551-58136-3.

nach oben Hammerhart klatscht Chotjewitz dem Leser die Realität um die Ohren. Das tragische Ende von Mira M., Popstar, in einem Aquarium. Die kaputten Geschichten ihrer Freunde, mit denen sie Wegstrecken ihres viel zu kurzen Lebens teilte. Als Mira stirbt, ist sie berühmt und reich und von ihren Freunden war kein Aas da, als ihr das olle Handy in das bescheuerte Aquarium fiel und der miese Aal sie biss, als sie versuchte, es rauszufischen. Eigentlich war es nur der Aal mit seinen scharfen Zähnen, dass Mira ohnmächtig wurde und jetzt tot ist. Eigentlich, denn sonst wäre Mira M. weiterhin ein Popstar oder eben ein gewesener Popstar, geht ja schnell in diesem Geschäft mit der Traumwelt der Teenies.
Chotjewitz kommt vom Theater und das merkt man – hervorragend schneidet er die Kapitel hintereinander, dass man das Buch nicht mal dann aus der Hand legen mag, wenn einem das Leben von Mira M. wurscht wäre. Isses aber nicht und das liegt daran, dass Chotjewitz hier die Lebengeschichte mehrerer Personen erzählt, wie sie sich tausendmal jeden Tag zuträgt, nur weiß man es nicht, glaubt es nicht und wenn mans wüsste, würde mans ohnehin ignorieren.
Zucka und Melody, Rosa und Kralle und Jackson begleiten Mira auf manchen Strecken ihrer Lebensreise. Kaputte Gestalten, zerbrochen an unerfüllten Träumen, gescheitert an zu engem Rahmen, in dem sie nicht mal Lebenskoordinaten festmachen konnten, weil kein Raum war, die Arme zu heben. Geflüchtet aus Afrika in einem Container, fast erstickt, verdurstet, landen ein paar ausgemergelte Gestalten auf dem Weg zu ihrem Lebenstraum in Deutschland, landen in einer Auffangeinrichtung und jeder versucht, mit dem geschenkten Leben das Beste für sich rauszuholen. Musik verbindet die Freunde, Musik, die ausdrückt, wo Worte versagen, wo der Verstand weggekifft ist, wo man nie gelernt hat, etwas zu formulieren. Aber singen, schreien, rappen, in knüppelharte Riffs dreschen kann mans, das ganze Unglück, die Sprachlosigkeit, die Sehnsüchte, die Ängste, die Stimmen, die einem im Nobelhaus überfallen, in das der reiche Plattenproduzent seine Kunstprodukte Melody und später Mira M. einziehen lässt, in eine Welt, die so kalt ist, dass der Aal fast gefriert, aber leider nur fast, denn er hat noch genug Energie, um Mira M. zu beißen, die Mira, die damit fertigwerden will, dass ihre Heimat, Jugoland, geteilt ist in Serben und Kroaten, die sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen, deren große Liebe Jackson lieber wieder zurück nach Afrika geht, dem Land, aus dem er im Container geflüchtet ist, als sich permanent selbst zu belügen, deren Freunde allesamt versuchen, aus Puzzleteilen, die sie im Abfalleimer des Lebens finden, eine neue Existenz aufzubauen, die schön ist, die erfolgreiche Menschen zulässt, die glücklich macht.
Mira schafft den Hit, Mira ist ganz oben, Mira tourt und knallt sich die Birne zu, weil sich nur so der Erfolg aushalten lässt. Und Mira muss sich mit Melody auseinandersetzen, die behauptet, der Tophit, mit dem es Mira geschafft hat, stamme von ihr. Mira – Melody – das Appartement, der Aal, die Technik, die reingeschobenen Handys, der Ruhm und die totale Einsamkeit, der Absturz – das sind die Zutaten in Chotjewitz' waghalsigem Abenteuer durch die Sehnsuchtswelt der Kiddies, die nicht sehen, dass hinter diesen Erfolgen oft der Preis steht, dass man mit seinem Leben, seiner Identität zahlt. Zahltag ist schnell in dieser Welt der ups and downs, Abstürze sind Alltag, wen interessiert es schon, Hauptsache, die Quote stimmt und der Rubel rollt. Was sind schon Menschen wert?
Ein Buch, das den Vorhang hochhebt, vor dem die Glitzerwelt aufgeführt wird, ein Buch, das nicht nur vom Starruhm und seinen Lügen berichtet, sondern auch aufzeigt, dass die Welt ein Dorf ist und jeder Versuch, auf dem Marktplatz eine Rede zu halten, ein Schuss ins eigene Knie sein kann. Schöne Jugend? Erstrebenswert, beneidenswert? Oder vielleicht doch eher eine gefährdete Spezies auf dem Weg zu sich selbst? Chotjewitz schildert alles, hart, gnadenlos und vor allem authentisch.
csc

Die spannende Welt im Untergrund

Suzanne Collins: Gregor und die graue Prophezeiung. Deutsch von Sylke Hachmeister, mit Vignetten von Joachim Knappe. 303 Seiten, gebunden. 13,90 Euro. Friedrich Oetinger Verlag. ISBN 3-7891-3210-1.

nach oben Gregor und die graue Prophezeiung Gregor hat Pech. Er darf die Sommerferien daheim verbringen. Mit seiner kleinen Schwester Margaret, die jeder nur Boots nennt und seiner Oma, deren lichte Momente dünn gesät sind. Die zweite Schwester darf ins Ferienlager. Alles eine Geldfrage und das ist knapp in der Familie, seit der Vater vor über zwei Jahren spurlos verschwand. Einfach so, weg war er. Kein Streit, kein nichts, weg vom Fenster, als hätte es ihn nie gegeben. Gregor hat den Verlust des Vaters nie verdaut und er zählt sein Leben von dem Tag an, an dem sein Vater verschwand. Gregors kleine Schwester ist zwar lästig, aber sie ist eine ganz Goldige, deren Charme auch Gregor nicht widerstehen kann.
Eines Tages kriecht Boots im Wäschekeller herum, wo Gregor seinen „hausfraulichen Tätigkeiten“ nachgehen darf, um seiner Mutter zu helfen. Plötzlich klettert Boots, ehe Gregor reagieren kann, in eine Klappe und verschwindet. Gregor sieht keinen anderen Ausweg, als sofort hinterherzujagen, er quetscht sich durch die Klappe und fällt. Endlos. Der Aufprall ist sehr sanft. Der Rest ist Horror. Vor Gregor stehen Riesenkakerlaken. 1 Meter 20 hoch. Und die können sprechen. Boots ist begeistert vom „goßen Käfer!“. Die Kakerlaken bringen Gregor und seine Schwester hurtig ins Reich der Menschen im Unterland. Dort lernen die beiden eine ganz neue Welt kennen und als Gregor erfährt, dass er der Krieger ist, von dem die graue Prophezeiung der Unterländer spricht, wird ihm heftig mulmig. ER soll der Auserwählte sein? Er nimmt die Herausforderung an, denn am Ende soll er seinen Vater wiederfinden. Mit Menschen, Fledermäusen, den Krabblern, die die Kakerlaken im Unterland genannt werden, einer Spinne und einer klugen Ratte macht er sich auf den Weg, alle Prüfungen zu bestehen. Es wird ein harter Weg, doch am Ende findet Gregor seinen Vater, vollständig erschöpft und ausgelaugt, doch glücklich. Zu dritt kehren sie in ihre Welt zurück, nachdem das Unterland befriedet werden konnte. Und der Leser freut sich über die Spur am Ende – dort wird von einer neuen Prophezeiung berichtet, in der Gregor wieder eine wichtige Rolle spielt. Man darf also auf eine Fortsetzung hoffen.
„Gregor“ ist spannend. Das Buch entführt den Leser in die Unterwelt, in ein Reich, in dem die „Igitts“ zu Hause sind, Kakerlaken, Ratten und anderes Getier, das man ungern im wirklichen Leben sieht. Boots, das Kleinkind, hat die Ekelpalette der Großen noch nicht erlernt, sie geht mit Freude und kindlicher Neugier auf alle unbekannten Lebewesen zu und gewinnt so ihr Herz im Sturm. Gregor ist elf, doch die Aufgabe, die er schultern muss, ist nicht klein. Gut, dass der Junge durch das Verschwinden des Vaters früh hat lernen müssen, Verantwortung zu tragen. Dennoch fällt es ihm schwer, sich der Denkweise der Unterländer anzunähern, die unter der Erde eine gigantische Welt aufgebaut haben, die auf ihre Weise wunderschön ist. Gregor findet Freunde unter Wesen, die er sonst kreischend zertreten hätte. Er lernt zu vertrauen und am entscheidenden Punkt im Krieg gegen die Ratten, die in der Unterwelt die Herrschaft erlangen wollen, gelingt es ihm, alle Grenzen hinter sich zu lassen.
Wer Gregor liest, fällt für eine Weile aus seinem Alltag heraus und betrachtet die nächste Spinne an der Wand vielleicht mit anderen Augen. Manches bleibt offen in diesem Buch, beispielsweise die Frage, ob Gregor bei seinem Sturz in die Unterwelt nicht geschrumpft ist, weil alle Tiere dort so riesig sind, das ist aber eine Frage, die man Autorin und Lektorat stellen muss. Möglicherweise ist das ein Punkt, den die Kinder nachhaken und den man leicht hätte umgehen können, indem man erklärt, dass beim Fall die Menschen kleiner werden. Das macht die Tiere dann in ihrer Größe glaubwürdiger. Mehr Kritik gibt es aber nicht, wer seinen Kindern Lesespaß gönnen will, ist mit diesem Erstling der Autorin, die erfolgreich fürs Kinderfernsehen schreibt, gut bedient. Die Vignetten sind sehr schön und reizen zum Ausmalen und das Buch ist sorgfältig Korrektur gelesen und gesetzt, löblich!
csc

Gut gemeint kann böse enden

Pam Conrad: Die Wahrheit über Mary Walker. 192 Seiten, kartoniert. 6,90 Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-36371-4.

nach oben Robins Mutter eröffnet ihr eines Tages, dass in Robins Kinderzimmer eine Untermieterin einzieht. Das ist ja schon ein Hammer, aber die Frau, die da ins Haus kommt, ist merkwürdig, findet Robin. Irgendwas stimmt nicht mit ihr, sie ist immer bleich und überhaupt. Als Untermieterin und Mutter außer Haus sind, startet Robin den ersten von mehreren Erkundungsgängen in ihr ehemaliges Kinderzimmer und sie findet das Tagebuch der Mieterin. Aus diesen Texten reimt sich Robin ihre Version der Lebensgeschichte von Mary Walker zusammen. Im Tagebuch wird von zwei Kindern berichtet, offenbar Mary Walkers Kinder, auch Fotos findet Robin. Zufällig bekommt Robin Mary Walkers alte Adresse heraus. Wie günstig, dass sie von der Schule aus Weihnachtspapier und anderen Krimskrams zum Fest verkaufen muss. Sie schwingt sich aufs Fahrrad und fährt nach Willowtown, in die Straße, in der Mary Walker gewohnt hat. Dort hört sie, als sie den Leuten ihre Papiere verkauft, einiges über Mary Walker, die sich vom Acker gemacht hat, die ihre Kinder alleine zurückließ und das, wo sie so einen fleißigen und tollen Mann hat, der bei der Polizei ist. Robin lernt Marys Tochter Leslie kennen, die ihre Mutter mehr vermisst als alles andere auf der Welt. Sie beschließt, Mutter und Kinder wieder zusammenzuführen. Eines Tages schafft sie es, dass Leslie in Robins Haus mitkommt. Sie sagt Mary im Krankenhaus, in dem sie arbeitet, dass ihre Tochter Leslie in Robins Haus ist. Dass Robin damit eine Katastrophe auslöst, die die Familie von Mary Walker an den Rand des Ruins und Robin selbst in Lebensgefahr bringt, ahnt das Mädchen nicht. Robin, die als junger Mensch das Ausmaß der Familientragödie von Mary Walker nicht überblicken kann, hat, ohne das in irgendeiner Form zu beabsichtigen, die Pläne Marys, ihre Kinder wieder zu sich zu holen und sich von ihrem psychopathischen, gewalttätigen Mann zu trennen, zunichte gemacht.
Das Buch ist ausgezeichnet erzählt aus der Sicht von Robin. Was für eine menschliche Tragödie sie, beseelt vom guten Willen, hier helfend in das Schicksal anderer Menschen einzugreifen, auslöst, wird Robin erst im Nachhinein klar. Da allerdings ist es definitiv zu spät, diese Scherben, die sie angerichtet hat, lassen sich nicht mehr kitten. Nicht selten sind Jugendliche vom Gedanken der Familienzusammenführung beeindruckt. Dass sich hinter mancher Trennung von Familien oder hinter vielen Jugendlichen unverständlichen Handlungsweisen Erwachsener handfeste Bedrohungen und andere tiefgreifende Probleme verbergen, ist den jungen Menschen nicht klar, weil es ihnen an Lebenserfahrung fehlt. Das Buch schildert sehr eindrücklich, dass Hilfe gut durchdacht sein will, soll sie auch eine positive und heilende Wirkung ausüben. Für Robin geht die Sache glimpflich ab, doch ob Mary Walker mit ihren Kindern jemals in Freiheit, Frieden und Freude leben kann, bleibt offen.
csc

Zum Glück gibt es die Frauen!

Miriam Cordes: Wer kommt mit auf die Arche Noah? Ein Puzzlebuch zum Mitmachen. 10 Seiten mit Papptieren. 7,90 Euro. Oetinger Verlag. ISBN 3-7891-6355-4.

nach oben Die Arche Noah ist ein sehr beliebtes Bilderbuchthema, kann man daran doch gewaltig viele Tiere kennen lernen. Miriam Cordes’ Buch ist anders: Da kann man die Tiere auf den ersten Seiten aus Pappe herausnehmen und dann an der richtigen Stelle in der Geschichte einsetzen, so dass die Kinder beim Vorlesen und Bilder anschauen auch selbst tätig werden können.
Die Bilder sind ansprechend, es sind keine verniedlichten Kuschelviecher, aber auch keine grellbunten Farben, die die Augen des Kindes terrorisieren, eher sanfte Töne mit liebenswerten Kleinigkeiten, die zu entdecken sind wie beispielsweise ein Käferpärchen auf der Elefantenseite. Immer sind es die Herren, die Sorge haben, ob die Arche auch der richtige Ort für sie ist und stets bekommen sie – wie oft genug im richtigen Leben – von den Ehefrauen einen Schubs in die richtige Richtung, rauf auf die Arche. Jedes Tier hat so seine speziellen Gedanken beim Besteigen der Arche und am Ende schaffen es auch die langsamen alten Schildkröten an Bord. Auf allen Bildern findet sich Noah, der die Tiere wie langersehnten Besuch empfängt. Das Titelbild zeigt die Arche auf hohe See, aus Bullaugen und von Deck herunter schaut die Tierschar auf den Betrachter, die Rückseite zeigt den Regenbogen aus der biblischen Geschichte, „Land in Sicht“.
Im Buch geht es nicht unbedingt darum, die Geschichte von vorn bis hinten zu berichten, sondern darum, dass Tiere auf ein Schiff gehen und man diese Tiere zuordnen und erkennen kann. Das Buch macht Spaß, weil die jungen Leser das Lesen nicht als passive Erfahrung kennen lernen, sondern selbst etwas tun dürfen und weil die Bilder erfreulich ruhig und ohne jeden Kitsch daher kommen. Im Zeitalter der Überflutung wohltuend.
csc

Spiegelkabinett zum Lesen

Valérie Dayre: Lilis Leben eben. Aus dem Französischen von Maja von Vogel. 128 Seiten gebunden, mit Illustrationen von Moni Port. 13,– Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-58118-5.

nach oben Lilis Leben eben Lilis Leben eben – eine Reise durch ein Spiegelkabinett. Man kann sich gewaltig in der Story verirren, gerät an undurchdringliche Türen und fragt sich am Ende: Was stimmt jetzt eigentlich?
Valérie Dayre beherrscht meisterhaft die Kunst der Verwirrung. Sie erzählt die Geschichte von Lili, die in brütender Hitze mit ihren Eltern auf der Autobahn herumkriecht, auf dem Weg in die Ferien. Eine Raststätte wird zum Rettungsanker. Tatsächlich?
Lili verbringt ihre Ferien nicht am Meer. Ihre Eltern hauen einfach ab. Sie schlägt sich mit Hund, einem ausgesetzten armen Vierbeiner, auf der Raststätte so durch.
Lili verbringt ihre Ferien schreibend am Meer. Die Lili, die von ihren Eltern an einer Raststätte ausgesetzt wurde, sitzt am Meer und schaut zu, wie die Eltern baden. Wirklich?
Ist Hund ausgesetzt? Ja. Das wenigstens stimmt. Und er spricht? Ja. Eher nein, das ist gelogen. Wahrheit, Fantasie, Lüge, Alptraum – das Buch hat alles davon.
Schockierend sind die glasklaren Erkenntnisse Lilis, denn allzu weit hergeholt sind manche Dinge wahrhaftig nicht. Ein Spiegel zeigt durchaus auch schonungslos die Wahrheit. Im Grunde wird gelogen, dass es kracht, aber weil eben alles doch bis auf den sprechenden Hund denkbar ist, verschieben sich die Realitäten, alles ist möglich, alles ist denkbar, doch hat es auch so stattgefunden? Das muss der Leser selbst herausfinden, wobei er sich auf die Reise macht: Was stimmt? Wie verhalten sich Menschen zueinander, zum Tier, in außergewöhnlichen Situationen, im Alltag? Valérie Dayre hat ein gigantisches Spiegelsortiment, das sie einem vorhält. In einer Facette findet sich jeder wieder. Ein Buch, das verwirrt, aber auch traurig macht und am Ende froh. Froh, weil eben doch nicht alles stimmt, auch wenn es das könnte.
csc

Das Geheimnis des Grases

Silke Declerck: Wie die Wiese entstand. 16 Seiten. 9,80 Euro. Schüz creativ+verlag ötigheim. ISBN 3-9371292-02-5.

nach oben Wie die Wiese entstand Es war einmal ein Grashalm – so beginnt die zauberhafte Geschichte von Silke Declerck, in der den kleinen und großen Lesern erzählt wird, wie denn das Gras entstand, das die Welt so schön grün macht. Das Bilderbuch zeigt nicht nur, wie so ein Grashälmchen wächst, was dazu notwendig ist, sondern es macht klar – niemand ist alleine, Wachstum funktioniert nur in der Zusammenarbeit vieler Helfer. Frisst das Häslein von oben den leckeren Grashalm ab, sind unten viele Helfer notwendig, um das Hälmchen wieder aufzurichten. Jeder gibt, was er hat und alle profitieren – die unterirdischen Helfer vom Bericht des Grashalms, was es denn über der Erdoberfläche zu sehen gibt, und der Grashalm von den Kräften, die ihm von unten zugeführt werden. Silke Declerck erzählt auch, dass die unterirdischen Helfer ratlos sind, als der Grashalb dauernd abgefressen wird. Doch sie verzagen nicht, sondern schicken Boten aus mit der Bitte um Hilfe. Und so wird der kluge Ratschlag der großen weisen Wurzeln zum Fingerzeig für die zarten Graswürzelchen – nur gemeinsam sind wir stark. Wenn mehr Grashalme wachsen als gefressen werden, reicht es für alle. So wird es auch gemacht und am Ende ist das entstanden, was wir das grüne Kleid der Erde nennen – die Wiese.
Silke Declerck hat den Text von Richard Klatt farbenfroh ins Bild gesetzt und sich vor allem intensiv um die Details gekümmert – die Grashalme haben alle ein Gesicht, kein Wurzelmännchen gleicht dem anderen, die Tiere sind genau gezeichnet, Insekten bevölkern die Luft.
Das Bilderbuch ist schon für die Kleinen geeignet, denn es bietet einen gut verständlichen Text und sehr farbenfreudige Bilder. Wer es gelesen hat, wird eine Wiese künftig mit anderen Augen betrachten, denn es ist keine Selbstverständlichkeit, dass so ein grünes Wunderwerk wächst, sondern eine Leistung von vielen Tausenden Grashalmen und ihren Helferlein, den Wurzeln.
csc

Überall kann man’s klickern lassen

Walter Diem: Die schönsten Murmelspiele. 48 Seiten, Paperback, mit angehängtem Murmelsatz. 8,95 Euro. moses.Verlag. ISBN 3-89777-218-3.

nach oben Die schönsten Murmelspiele Murmeln, Schusser, Klicker – wer kennt sie nicht? Als Kind hat man stundenlang die Glaskugeln rollen lassen. Auf Asphalt, auf Sand, auf Schotterpisten. Man hat gewonnen und verloren und sich immer Nachschub gewünscht. Murmelspieler haben mehr drauf: Sie sind manuell geschickt, halten sich gern draußen auf und sie sind gesellig, denn am meisten Spaß macht der Wettkampf mit mehreren, sie lernen frühzeitig Spielregeln und sie trainieren perfekt Feinmotorik, das spart Ergotherapie.
Was macht das Murmelspiel eigentlich so faszinierend? Ganz einfach – es macht Riesenspaß und es gibt tausendundeine Spielvariante. Heute sind die meisten Spiele, entstanden aus Not, wechselnder Gruppenzusammensetzung, örtlichen Gegebenheiten (in einem Park spielt es sich anders als in einem sandigen Hinterhof oder auf abschüssigem Gelände) oder einfach der Anzahl der noch nicht endgültig in den Gully verschossenen Glaskugeln vergessen.
Walter Diem schafft Abhilfe: Er hat Spiele mit den Murmeln, die bei uns unter über hundert Namen bekanntsind, rund um den Globus gesammelt, darunter Spiele, die man mit ganz vielen Leuten, wenigen, sogar ohne jeden Platz spielen kann. Was die Ägypter und Römer schon begeistert hat, macht bis heute richtig Spaß. Und wer als Kind der Faszination der Murmel erlegen ist, versteht, weshalb es bis heute Leute gibt, die sich regelmäßig in Spielzeuggeschäften herumdrücken und dort für ihre Sammlung Schusser kaufen. Und der legt sich mit dazu, wenn er hinter einer Bürotür das bekannte Klickgeräusch hört, öffnet und den Boss auf dem Boden liegen sieht. Der echte Freak trägt ohnehin immer für alle Notfälle ein paar Schusser bei sich.
Für alle, die nie aufgehört haben, sich vom rollenden Glas begeistern zu lassen und für die kleinen Schusserkönige, die diese faszinierende Welt erst betreten wollen, ist das Büchlein eine Fundgrube und weil das Spielgerät ohnehin gleich beiliegt, gibt es kaum ein besseres Geschenk zum nächsten Kindergeburtstag. Möglicherweise liegt dann die gesamte Gesellschaft vor der Haustür auf den Knien und lässt es ordentlich krachen. Es gibt großartige Spiele, bei denen man ein Stück Kuchen gewinnen kann und …
csc

Im Mittelpunkt des Kreuzes

Georg Dreißig: Aliyeh. 144 Seiten. 11,90 Euro. Urachhaus Verlag. ISBN 3-8251-7498-0.

nach oben Es sind vier Eckpunkte, zwischen denen sich die Geschichte Aliyehs abspielt: Da ist einmal die ganz animalische, urwüchsige Welt der Wölfe, bei denen sie aufgewachsen ist und deren Natur ihre Kinderstube war. Dem gegenüber steht ihre Himmelsheimat, die sie als Tochter des Königs der Plejaden immer wieder besuchen darf und wo sie ihre Erinnerung an ihre eigentliche Aufgabe auf der Erde wieder auffrischen kann: das Licht ohne Glanz zu suchen Auf der irdischen Ebene stehen sich Runa, ihre liebevolle Pflegemutter, die von Anfang an mit der Gewissheit des Herzens das Menschliche in dem verwahrlosten Wolfskind gesehen hat, und der böse Herr Orson gegenüber, der eine finstere Vergangenheit zu verbergen hat und mit Hilfe seiner abergläubischen durchtriebenen Haushälterin Kaja alles tut, um Aliyeh übel mitzuspielen. Stellt man sich eine Verbindung zwischen diesen vier Polen vor, steht Aliyeh in der Mitte eines Kreuzes, wo sie versucht ihren Platz zu finden zwischen ihrer Vergangenheit und ihrem Ziel, ihrer eigenen unschuldigen Offenheit und ihren dunklen Abgründen. Sie muss die Finsternis erst selbst kennenlernen, damit sie sich ganz den Menschen zuwenden und das Licht ohne Glanz in ihren Herzen entzünden kann. Endlich legen auch die Dorfbewohner ihren Argwohn gegen den vermeintlichen Werwolf ab und Aliyeh findet eine Heimat.
Georg Dreißig verbindet die horizontale mit der vertikalen Erzählebene gekonnt zu einer packenden und zugleich spirituellen Geschichte. Nicht zuletzt rühren die übersinnlichen Erlebnisse Aliyehs auch an die Seele des Lesers, knüpfen an an das Leben vor der Geburt an und schenken uns stärkende innere Bilder. Kinder ab neun Jahren finden hier die tröstende Gewissheit, dass es eine geistige Welt gibt, und bekommen rote Backen vom Mitfiebern.
Ulrike Schmoller

Mit zauberhaften Elfen den Jahreskreis erleben

Daniela Drescher: Komm mit ins Elfenland. 18 Seiten, gebunden. 8,90 Euro. Urachhaus Verlag. ISBN 3-8251-7454-9.

nach oben Elfen faszinieren Klein und Groß und die Naturwesen sind den Kindern noch recht nahe. Daniela Drescher hat hier ein Buch gestaltet, dass durch seine rhythmischen Verse nicht nur den Sprachsinn, die Freude am Mitsprechen, an Rhythmus und Klang, weckt, sondern auch durch seine vielfältigen Bilder eine wahre Fundgrube bietet. Einmal geht es um den Jahreskreis; beginnend mit dem Frühling wandern Elfen und Betrachter durch das Jahr, es zieht sowohl das, was die Tiere erleben, als auch die Veränderung in der Natur vor den Augen vorüber. Die Bilder sind in ihrer Farbgebung leicht im Frühling, zart, verwischt, blau in der Nacht, leuchtend, vom Schein der Lampions erhellt bei der Mittsommernachtfeier, glühend im Herbst, sensibel gestaltet zwischen der eisigen Kälte in der Natur und der Wärme in der Zwergenstube im Winter und mit kühlen Farben, wenn der Schnee die Landschaft bedeckt und auch Elfen eine Mütze tragen. Die Tiere sind genau beobachtet, ebenso die Pflanzen und sehr sorgsam dargestellt. Die Elfen sind nie kitschig, sondern immer dem jeweiligen Bildthema angepasst. Auch wenn es einmal lebhaft zugeht, strahlen alle Bilder Ruhe aus. Es ist eine Freude, die vielen Einzelheiten zu entdecken, so dass man das Buch wieder und wieder vornehmen kann, um sich auf eine Abenteuerreise zu begeben.
csc

Raben sind mehr als Vögel

Zoran Drvenkar: Sag mir, was du siehst. 304 Seiten, kartoniert. 7,90 Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-35384-0.

nach oben Alissa besucht mit ihrer Freundin Evelin jedes Jahr am Heiligen Abend, wenn das Familienprogramm beendet ist, das Grab ihres Vaters. An diesem Heiligen Abend aber geht manches schief: Es schneit ohne Ende und die Mädchen finden das Grab nicht in einem Meer von Platten auf einem Berliner Friedhof. Alissa bricht plötzlich durch den Schnee und landet in einer Gruft. Evelin holt Hilfe, in der Zwischenzeit bemerkt Alissa etwas Seltsames. In der Gruft steht ein Kindersarg und aus diesem Kindersarg wächst eine Pflanze. Alissa weiß, dass sie einen Fehler begeht, und doch zwingt eine ungeheure Macht sie dazu, die Pflanze abzubrechen und die Blüte einzustecken. Das ist der Startschuss zu einer Story, in deren Verlauf viele unerklärliche Dinge geschehen. Alissa schluckt die Pflanze und von da an ist nichts mehr, wie es war. Sie sieht Menschen, die keine sind. Tote Wesen werden lebendig, die Liebe zu Simon, ohnehin gerade zerbrochen, bekommt einen verbissenen Zug von Verfolgungswahn, denn Simon hört von Stund an nicht mehr auf, Alissa auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Der Junge verbringt Nächte draußen bei eisigem Wetter, selbst zwei erfrorene Finger halten ihn nicht von seinem Tun ab.#Evenlin hat alle Hände voll zu tun. Sie bekommt Angst um Alissa, möchte aber eigentlich ihre gerade angefangene Liebesbeziehung mit Nina auch leben und ist zwischen beiden Polen hin- und hergerissen. Sie kann Alissas Gedanken und ihrem Handeln nicht mehr folgen und doch wird sie es am Ende sein, die die Lage wieder rettet.
Bis es soweit ist, wird es Tote geben. Junge Menschen sterben, weil sie das Tor des Todes durchschreiten wollen. Junge Menschen handeln absolut widersinnig und doch – nur in diesem Alter kann man solche verrückten Dinge tun, Liebe absolut setzen, in tiefstem Frost die Nacht draußen verbringen, in eine Villa einsteigen, mit einem Kanu auf einem fast zugefrorenen Fluß durch Berlin schippern. Am Ende klärt sich alles auf, doch nichts ist, wie es war. Wenige Tage haben die ganze Welt auf den Kopf gestellt.
Zoran Drvenkars Titel ist auf der Kinder- und Jugendbuchliste des DR, WDR und Radio Bremen gelandet, es erhielt 2004 den Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar und ist nun als Taschenbuch auf den Markt gekommen. Wer das Buch anfängt zu lesen, legt es nicht mehr aus der Hand. Es behandelt im Grunde die Frage nach Leben und Tod und nutzt die Symbolkraft der Raben. Stetig wechselnde Perspektiven erlauben es dem atemlosen Leser, in alle Köpfe zu schauen: In den des Winterkinds Alissa, in die Freundin Evelin, Eltern und Simon, den Liebenden. So wirkt die Geschichte durch die unterschiedlichen Blickwinkel wie ein Mosaik, das sich nach und nach zusammensetzt. Raben werden nach der Lektüre mit Sicherheit andere Vögel sein als vorher.
Als Lesealter würde ich sagen: ab 14.
csc

Sich erst im Schmerz spüren

Kristina Dunker: Schmerzverliebt. Roman. 210 Seiten, gebunden. 11,90 Euro. Verlag Beltz&Gelberg. ISBN 3-40778-676-X.

nach oben Pia hat eine Vorzeigefamilie. Ökomäßig komplett korrekt, beide Eltern angesehen im Beruf, in der Freizeit engagiert in zahlreichen Projekten, der Bruder ein gutaussehender Strahlemann mit gut bestandenem Abi und Pia? Alles bestens, bis vor einer Weile jedenfalls. Da war Pia das vierte Familienmitglied auf der Sonnenseite des Lebens, prima Noten, prima Aussehen, alle verstehen sich prima, nur irgendwann findet Pia nichts mehr prima. Sie hat keinen Bock mehr auf die Schule. Sie hat die Nase gestrichen voll von diesen perfekten tollen Menschen um sie herum. Doch keiner merkt, dass es Pia in dieser großartigen Umgebung mit den ungespritzten Johannisbeeren und dem Idyll immer schlechter geht. Sie weiß nicht mehr, wer sie eigentlich ist. Sie schläft mit einem Jungen, doch dem ging es nur um Sex, er lässt sie fallen. In dieser Nacht verschwinden Pias Katzen, Katzenfänger haben offenbar alle Vierbeiner der Gegend zusammengeklaut. Pias Eltern und ihr Bruder zeigen ihr Bilder, was mit Tieren in Versuchslabors gemacht wird – Schuld wächst in Pia und auch Aggression. Immer mehr Wut speichert sich auf und Pia merkt zum ersten Mal, dass sie diese Wut nur loswird, wenn sie sich selbst verletzt. Fortan wird die Rasierklinge zu Pias gutem Freund. Immer, wenn die Wut anwächst, schneidet sich Pia dieses Gefühl heraus. Wenn das Blut fließt, die Schmerzen durch den Körper toben, weiß Pia: Ich lebe noch, Tendenz: zunehmend mieser.
Auf der Geburtstagsparty ihrer ehemals besten Freundin, die nur noch Pias Bruder Benne im Kopf hat, lernt Pia Sebastian kennen. Sebastian ist zwar gut aussehend, aber grottenfett. Keiner mag ihn, weil er ausschaut wie er eben ausschaut. Und er hat noch ein Stigma, von dem Pia zunächst nichts weiß: Sebastians Vater leitet ein Versuchslabor und seine Firma wird demnächst ein großes neues Labor bauen in Pias Stadt. Pia und Sebastian kommen sich auf der Party näher und plötzlich fühlt Pia: Wenn sie bei Sebastian ist, hüllt sie seine Speckschicht mit ein. Da dringt keine Welt mehr durch zu Pia und als sie Sebastian küsst, spürt sie, dass sie angekommen ist. Eine Woche bleibt den beiden, um sich aneinander anzunähern, eine Woche, in der Sebastian herausfindet, dass sich Pia ritzt. Dass sie sich selbst Gewalt antut. Eine Woche, in der in Pias Familie das Chaos ausbricht, denn Benne ist der anonyme Anrufer, der Sebastians Vater bedroht, er ist es, der Sebastian tote Mäuse ans Fahrrad klemmt. Pia ist in der Zwickmühle: Ihre ökologisch korrekte Vorzeigefamilie auf der einen Seite, Sebastians geschiedener Vater mit dem Tierlabor auf der anderen Seite, dazwischen sie und Sebastian. Es muss erst zur Katastrophe kommen, ehe Pia begreift: Ritzen ist ein Hilfeschrei. Und Ritzer müssen erst einmal einen Punkt erreichen, an dem sie erkennen, dass sie Hilfe brauchen.
Ritzen ist ein Tabuthema, borderline nennt sich das und wird in Therapien behandelt. Dass das Thema nun auch in Buchform exakt für die Altersgruppe erscheint, in der die Selbstverstümmelung – wenn auch nie ausgesprochen – auftritt, mag für viele hilfreich sein und ihnen Mut machen, sich Hilfe zu holen. Und es schärft Unbetroffenen die Augen, wenn in ihrer Umgebung jemand permanent lange Ärmel trägt und häufig unerklärliche Unfälle erleidet.
Kristina Dunker schreibt ohne Schnörkel, wechselnd aus der Sicht von Pia und Sebastian. Ein Buch, das sehr nachdenklich macht.
csc

Hochgefährlich und megaspannend

Stan van Elderen: Der Fluch des Magiers. 160 Seiten, geb. 12,50 Euro. Urachhaus Verlag. ISBN 3-8251-7487-5.

nach oben Im Fortsetzungsband von „Der 13. Zauberer“ treffen wir Oliver und Bartholomäus, Quovadis und ihre Freundin Aurora wieder, die erneut vor einer schwierigen Aufgabe stehen: der Fluch des Magiers Isegrim wurde gestohlen, ein unscheinbares, aber hochgefährliches Büchlein voller schwarzmagischer Zaubersprüche, das in jedem, der ihm zu nahe kommt das Schlechteste zu Tage fördert, indem es ihm grenzenlose Macht und unendlichen Reichtum verspricht. Die Zeit drängt, denn schon scheint sich die Geschichte zu wiederholen und die Gewalt der Elemente Wind, Wasser und Feuer werden von Isegrim gezielt eingesetzt, um ihre zerstörerische Wirkung zu entfalten. Mit detektivischem Gespür, Kombinationsgabe, heimlichen Einbrüchen und Verfolgungsjagden machen sich die beiden Jungen daran, den Fluch und seinen Dieb aufzuspüren, um Gegenkräfte zu mobilisieren und das Schlimmste, die fünf Plagen, abzuwenden. Das gerät zu einem Katz- und Mausspiel, bei dem sie zeitweise sogar selbst verdächtigt werden und alles anders kommt als erwartet. In den düsteren Katakomben von Schloss Obsidian kommt es zum finalen Kampf, in dem die Jungen den Sieg durch ihre eigene innere Stärke und durch ihre Freundschaft davontragen.
Die leisen Ahnungen und unterschwelligen Wahrnehmungen Olivers schaffen gemeinsam mit den reich vertretenen Tricks des Genres eine große Spannung, die aber auf einer kindgemäßen Ebene bleibt, so dass das Buch auch Zehnjährigen bedenkenlos in die Hand gegeben werden kann. Sofern man es aushalten kann, wenn das Kind damit erst einmal für Stunden verschwindet, nicht zum Essen kommen will und dann tagelang nach dem dritten Band mault …
Ulrike Schmoller

Allzeit bereit – einer für alle, alle für einen

Erik Erikson: Die Nacht der Wölflinge. Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs. 192 Seiten, kartoniert. 6,90 Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-37352-0.

nach oben Ferienlager! Abgeschiedene Insel! Segel lernen! Pfadfindertugenden und eine herrliche Jungenfreizeit mit Geruch nach Abenteuer! Die Jungs aus der Möwengruppe freuen sich riesig auf ihre Ferien. Sie würden alles machen, was Spaß macht – ein Lager bauen, am Lagerfeuer sitzen, sich selbst verköstigen, baden, segeln lernen und am Ende der Freizeit würden sie die Lagerpferdchenprüfung bestehen.
Johan ist einer der Jungs von den Möwen. Er ist ein bisschen anders als die anderen Jungs. Die haben Familien, Johan nur eine Mutter. Die kriegen Besuch im Lager, Johans Mama muss arbeiten. Und Johan glaubt nicht alles, was die Anführer sagen. Von gewaltigen Dingen in der Lagerpferdchennacht ist da die Rede – vom Absturz über Klippen, Narben werden vorgewiesen als Male überstandener Lagerpferdchennächte, auf dem Totempfahl am Versammlungsplatz klebt ganz sicher Blut oben.
Im Lauf der Lagerzeit nimmt die Panik unter den Jungs zu. Was die Meutenführer erzählen, lässt sie nicht mehr ruhig schlafen. Die Sensibleren in der Gruppe kriegen Magenschmerzen. Hat sie der Anführer auf dem Kieker, müssen sie rudern, bis die Hände bluten, immer noch mehr leisten bei den Wettkämpfen, allzeit bereit. Flucht ist zwecklos, auf der Insel sind die Jungen gefangen, der Laune ihrer Anführer ausgeliefert. Nicht in allen Gruppen geht der blanke Horror um wie bei den Möwen, aber das hilft den Möwenjungs herzlich wenig.
Johan stellt Fragen. Fragen an Roffe, den Gruppenleiter. Roffe verbittet sich die Fragen, doch Johan bohrt weiter. Fragt und will Bescheid wissen, zweifelt Roffes teilweise sinnlosen Befehle an, lässt sich nicht vor seinen Wagen spannen, spielt nicht Roffes Spiel. Roffe legt ein Netz, in dem sich dieser widerspenstige Johan schon noch verfangen wird, er arbeitet mit Psychoterror und Bespitzelung. Irgendwann hat Johan keine Chance mehr, doch er gibt nicht auf.
Johan schwimmt durchs Meer bis zur nächsten Insel und dort richtet er sich ein. Nahrung holt er auf der Lagerinsel und vergisst nicht, seinen Besuch auch sichtbar zu machen. Zufällig belauscht er den Gruppenführer und seinen miesen Gehilfen und erfährt, dass alles nur Angstmacherei ist mit dem Lagerpferdchen. Er versucht, die Jungs zu warnen und doch kann er sie nicht davor bewahren, dass ihnen die Vorstellung schon so sehr zusetzt wie die schlimmste Wahrheit nicht.
Erikson schildert dicht und aus jeder Zeile spürt man – hier schreibt ein verletztes Kind, das alles erlebt hat, was es schildert und sich nichts sehnlicher gewünscht hat, als so zu sein, wie es der Held Johan ist, der sich zwar biegen lässt, aber nicht bricht und der konsequent seinen Weg geht, vielleicht mehr Pfadfinder als alle anderen.
csc

Mütter und Söhne im Märchen

Josephine Evetts-Secker/Helen Cann: Mütter und Sönne. Märchen aus aller Welt. Aus dem Englischen von Sylvia Sokolowski. gebunden, 80 Seiten. Urachhaus Verlag. ISBN 3-8251-7236-8.

nach oben Mütter und ihre Söhne – mir war nie vorher aufgefallen, dass es gerade diese Beziehung ist, die häufig in den Märchen thematisiert wird. Und doch gibt es, wenn man darüber nachdenkt, viele Märchen, in denen es um genau diese Konstellation geht, man bemerkt, dass es häufig die Jungen sind, die in die Welt ziehen und zum Mann werden müssen, Reifeprozesse beim Sohn, Abnabelung bei der Mutter. Besonders schön ist es, diese Beziehung in Märchen zu beobachten, die aus der ganzen Welt stammen, sei es nun eine Geschichte aus dem Volk der Selkupen, aus Frankreich, eine jüdische Legende, ein Text aus Irland, Nepal, Wales, Deutschland, Griechenland, vom Volk der Maori oder den Wabanaki. Immer geht es um eine Entwicklung, die der Sohn durchmacht, aber auch die Mutter, die Söhne müssen reisen, gefährliche Abenteuer bestehen, sie werden Helden oder finden, wie Hans im Glück, ihren ganz eigenen persönlichen Weg zur Zufriedenheit.
In den zehn unterschiedlichen Märchen erfährt der Leser viel über das Volk, dem die Geschichten entstammen und er darf teilhaben an einem großen Schatz, denn Märchen sind tiefe Weisheiten, gesammelt und tradiert.
Die Illustrationen von Helen Cann greifen die Inhalte der Märchen auf, geben ihnen aber auch auf den Textseiten einen ansprechenden, liebevoll gestalteten Rahmen, so dass jede einzelne Seite in Ruhe entdeckt werden darf.
csc

Väter und Töchter im Märchen

Josephine Evetts-Secker/Helen Cann: Väter und Töchter. Märchen aus aller Welt. Aus dem Englischen von Sylvia Sokolowski. 80 Seiten, gebunden. Urachhaus Verlag. ISBN 3-8251-7236-6.

nach oben Väter und Töchter In zehn Märchen, vergleichbar ausgestattet wie die Märchen für Mütter und Söhne, wird das Verhältnis zwischen Vätern und Töchtern aufgezeigt. Viele Töchter haben zu ihrem Vater ein ganz spezielles Verhältnis und das spiegelt sich auch in den Märchen. Väter als Beschützer, als Ernährer, aber auch Väter als Ehemänner, die sich eine zweite Frau nehmen, Ersatzväter und Männer, die für Autorität und Kultur eines Landes stehen, werden vorgestellt oder es taucht ein Prinz auf, der verzaubert wurde und auf die Erlösung durch eine Prinzessin wartet. In Märchen kann man sich wiederfinden, Märchen sind Wegweiser, Lebenshilfe und sie lösen in uns ein tiefes Echo aus. Beim Vorlesen entdeckt man offene Fragen, kann sein eigenes Verhältnis zu den Eltern neu sehen lernen und gleichzeitig überdenken, in welches Verhältnis man sich selbst zu seinen eigenen Kindern setzt, was man ihnen sein möchte und ist.
Besonders beeindruckend ist die Vielfalt der Märchen aus verschiedenen Kulturkreisen, so erfährt man nebenbei viel über die Denkweise, Sitten und Regeln, die anderswo gelten. In allen Märchen erweisen sich die Töchter, die erfolgreich sind, als klug, die Stiefschwestern, die faul sind, finden ihr Lebensglück nicht. Mädchen sind mutig beim Volk der Moskogee, sie müssen, wie im Froschkönig, von ihrem Vater ernsthaft darauf hingewiesen werden, dass man ein Versprechen zu halten hat, und sie retten Leben wie Scheherazade – so breit gefächert wie das Leben selbst sind die Märchen.
In diesem Buch faszinieren nicht nur die Märchen, sondern gleichermaßen die Illustrationen, die feinfühlig auf das jeweilige Land eingehen, aus dem das Märchen stammt und bei der Umrahmung sensibel auf den Text Bezug nehmen.
csc

Wie man einen Menschen erzieht

Jackie French/Bruce Whatley: Tagebuch eines Wombat. Ca. 30 Seiten. 12,90 Euro. Gerstenberg Verlag. ISBN 3-8067-5096-3.

nach oben Tagebuch eines Wombat Ein Wombat schläft ziemlich gern und lang. Jackie French hat einen Wombat in ihrem Garten und im Lauf der Zeit ist es diesem Fellknäuel mit dem charmenten Hinterteil wahrhaft gelungen, Jackie angemessen zu erziehen – sie hat irgendwann kapiert, dass ihr Gartenbewohner Karotten und Haferflocken liebt und seine eigenen Regeln aufstellt. Jackies Wombat ist eine echte Lady, die sich nicht mit langen Reden aufhält, sondern Taten sprechen lässt, ein Wombat mit Stil also. Bruce Whatley hat der Nonchalence des Wombats nachgespürt und seine Bilder fangen ein, was den Wombat ausmacht – Ruhe, Gelassenheit, Durchsetzungsvermögen. Whatley verzichtet auf Schnörkel, ebenso wie Jackie French an keiner Stelle schwätzt, sondern sich aufs Wesentliche beschränkt im Text. Zusammen formen Text und Bilder eine Einheit, die dem Wesen des Wombats ausgezeichnet entspricht.
Eine Woche lang begleitet der Leser den Wombat in seinem Alltag, der wesentlich vom Schlaf bestimmt wird und der Erkenntnis – Gras allein ist langweilig. Es ist schwer, juckende Stellen ganz weit hinten am Rücken zu kratzen, wenn man ein armer Wombat ist. Es ist mühsam, Menschen zu einer Erkenntnis zu verhelfen. Aber sie begreifen, dass Fußmatten ebenso albern und überflüssig sind wie schöne Türen, neue Mülleimer und frisch angelegte Beete. Die Lektionen hätten sie sich sparen können, wenn sie gleich ein bisschen mehr Verständnis für Wombats gehabt hätten und ihr Bedürfnis nach Karotten, Haferflocken und einem Kratzbaum. Wir lernen: Es ist nicht so leicht, mit einem Wombat auf einem Grundstück zu wohnen. Auch Wombats können ein gewisses Chaos ins Leben bringen, selbst wenn sie an sich ziemliche Schlafmützen sind. Wesentliche Lektion: Lesen Sie dieses Buch, bevor Sie auf ein Grundstück ziehen, das im Besitz eines Wombats ist. Sie sparen eine Menge Geld. Ein zauberhaftes Bilderbuch für alle, die in wombatfreien Zonen leben. Für die, die ihr Leben mit Wombats teilen, mag es eine lebensrettende Unterstützung sein zu erfahren, was Wombats brauchen. Dann spart man sich eine Menge Ärger. Die Leser jedenfalls haben viel Freude an den kurzen und prägnanten Sätzen und den schnörkellosen Bildern, die beide zeigen – egal, wie sie sich benehmen, Wombats muss man lieben.
csc

Deutsch-englische Kooperation

Herbert Friedmann/Tina Zang: Trapped. In der Falle. 128 Seiten, kart. 5,95 Euro. Langenscheidt. ISBN 3-468-20434-5.

nach oben Ein neues „adventure in english“ aus der Reihe bei Langenscheidt, in der auch „Panic on the set“ (ki…) von Tina Zang erschienen ist: „Trapped – In der Falle.“
Aus diesem Titel lässt sich schon fast ablesen, dass es dabei um Mäuse geht, die an einem unpassenden Ort auftauchen, nämlich in einem Shopping-Centre. Offenbar werden sie dort ausgesetzt, worauf auch ein Erpresserbrief hindeutet. Nur: wer könnte ein Interesse daran haben, durch eine Mäuseplage Schaden anzurichten? Rick, der erst kürzlich nach Oxford gezogen ist, und seine Freundin Jessica, die Tochter des Pizza-Services, helfen der Security-Firma bei der Aufklärung des Falles – und geraten dabei selbst in die Falle.
Die Kombination aus Deutsch erzählter Geschichte mit englischen Dialogen bewährt sich auch in diesem Fall. Das Sprachniveau ist so basisorientiert, dass zwei Jahre Englischunterricht als Voraussetzung genügen. Die Vokabelangaben unter dem Text lösen jede Unklarheit in Luft auf und übersetzen umgangssprachliche Ausdrücke. So bleibt die Frustschwelle niedrig und die Motivation hoch. Der Schwierigkeitsgrad steigert sich zum Showdown hin leicht, doch da wird keiner mehr das Buch aus der Hand legen. Der Umfang ist auch so gewählt, dass es sich gut in einem Rutsch durchlesen lässt. Die plakativen Bilder sind Geschmacksache und kommen sicher bei der Zielgruppe besser an als bei den Eltern, womit sie ihren Teil dazu beitragen Kindern ab 10 auf vergnügliche, pädagogikfreie Art und Weise eine fremde Sprache nahe zu bringen.
Ulrike Schmoller

Es gibt mehr als eine Wirklichkeit

Jostein Gaarder: Das Schloss der Frösche. Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Mit farbigen Illustrationen von Henrike Wolson. 128 Seiten, gebunden. 14,90 Euro. Hanser Verlag. ISBN 3-446-18602-6.

nach oben Kristoffer schläft tief und fest. Eigentlich. Aber mit einem Mal ist er barfuß draußen und das im Winter. Doch nicht nur das, peng, steht ein Wichtel neben ihm, Umpin, herzlos ist er, nichts schlägt in seiner Brust. Das ist sehr komisch. Umpin lebt ohne Herz und Kristoffers Opa ist gestorben, weil sein Herz nicht mehr geschlagen hat. Das versteht Kristoffer nicht und es gibt in dieser Nacht noch so manches, das ihm schleierhaft ist. Ist Umpin echt, ist er geträumt? Verspeist Kristoffer wirklich Erdbeermarmeladepfannkuchen? Und dann Salamanderfangen, was ist das für eine Idee! Es kommt noch schlimmer – Umpin und Kristoffer landen am Fürstenhof und dort haben verrückte Salamander nichts anderes im Sinn, als das Herz des Königs zu stehlen, die Königin zu verhexen und die durchaus nicht so liebliche Prinzessin Aurora einzusperren. Soweit, so schlecht, doch Umpin und Kristoffer haben wirklich Pech – der Marschall kann Gedanken lesen und mit einem Schlag stehen sie mit ihren ganzen Ideen zur Rettung da wir vor einem Röntgenschirm, chancenlos.
Nun merkt Kristoffer, dass es um die Wurst geht – wird er sich verlaufen in seinem Traum? Wird er aufwachen und daheim in seinem warmen Bett liegen oder bleibt er in der Zwischenwelt gefangen? Kristoffer Hansen hat ein echtes Problem und bei der Lösung muss ihm der herzlose Wichtel Umpin helfen, damit am Ende aus dem Pofferprinzen wieder Kristoffer wird. So wandelt der Junge in seinem Traum durch die Ebenen der Realität, immer wieder taucht der kürzlich verstorbene Großpapa auf, Auslöser des Traumes vermutlich. Und es ist der Großvater in der Welt zwischen den Wirklichkeiten, der Kristoffer begleitet und der Wichtel, der ihm hilft, die gefährlichen Situationen zu bestehen und am Ende wieder bei sich selbst anzukommen.
Als Gaarder-Fan muss ich gestehen – ich habe lange überlegt, für welche Zielgruppe dieses Buch geeignet ist. Für Kinder? Für Erwachsene? Für alle, die zwischen den Realitäten switchen können, für die Traumrealität auch etwas Wirkliches ist? Was wollen uns die mächtigen Bilder dieses Buches sagen? Gibt es Schlüssel, das Rätsel zu knacken? Ehrlich gesagt – es sind gewaltige Bilder, heraufgetragen aus Traumebenen, symbolhaltige Figuren agieren, der verstorbenen Großvater als Leitfigur im Hintergrund, dessen Tod von dem kleinen Kristoffer erst einmal verkraftet werden muss und der das tut, indem er versucht, dem bestohlenen König im Traumreich sein Herz wieder zu beschaffen und doch, es ist entweder genial gut oder schwer verdaulich. Die Bilder sind aussagekräftiger als der Text, aber nicht als Bettlektüre für Sensibelchen geeignet. Am Ende geht es gut aus, aber ob das ausreicht?
csc

Wenn du weinst, weint Gott auch

Rabbi Marc Gellman: Himmlische Helfer. Wie du Trost und Hoffnung finden kannst. 128 Seiten mit Illustrationen von Heike Herold. Aus dem Englischen von Annette von der Weppen. 9,90 Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-20986-3

nach oben Es gibt Bücher, die tragen ihren Titel „Hühnersuppe für die Seele“ ganz zu Recht. Dieser Titel von Rabbi Marc Gellman gehört auch zu den Stärkemitteln, die in diesem Fall jüngeren Lesern gegeben werden können (bis unbegrenzt!) und dem Untertitel „Trost und Hoffnung“ vollkommen gerecht werden.
Michael, Mike genannt, ist ein kleiner Engel, der wahrlich keinen Nerv mehr auf sein Engeldasein hat, denn die Welt ist ungerecht und miesfies. Gabriel, sein Mentor, macht einen Deal mit ihm – er will ihm zeigen, wie perfekt die Welt ist, doch dafür muss Mike noch ein bisschen ausharren. Mike schlägt ein.
Fünfzehn Mal nimmt Gabriel seinen Schützling mit auf die Reise in die Welt. 15 Mal sieht Mike, dass auch Unglück, Katastrophen, Leid und Schmerz ihren Sinn haben, dass neben dem Leid auch immer die Freude lebt, dass die beiden Pole gut und böse eigentlich zwei Seiten der gleichen Münze sind. Mike erlebt 15 Mal hautnah mit, wie Menschen leiden, wie sie sterben, wie sie mit ihrer Trauer umgehen. Es sind Situationen, die jedes Kind kennt – ein geliebtes Tier stirbt, ein Familienangehöriger stirbt, selbst die für Kinder noch ungleich unfassbaren Bilder vom September 2001 in New York werden aufgegriffen, um zu zeigen: Gott ist da. Er weiß um die Sorgen und Nöte, er hat ein ganzes Heer von Helfern und es liegt am Einzelnen, ob er den Mut hat, sein Schicksal anzunehmen.
Der Geschichte – zum Weinen schön erzählt – folgt immer ein kleines Kapitel „Zum Weiterdenken“, das ist eine gute Idee. Was in der Geschichte vorgestellt wurde, wird da noch ein wenig abstrahierter gedacht und angeregt. Einleitende Kapitel für Eltern und Kinder machen deutlich, weshalb Rabbi Gellman dieses Buch geschrieben hat. Er möchte die Wunder Gottes aufzeigen und veranschaulichen, dass Gott die Menschen liebt. So können sie sich geborgen in Gottes Hand fühlen. Heute tun sich viele Eltern schwer mit der Religion. Glaubensfragen werden intellektuell abgehandelt, Gebet ist schon lange nicht mehr üblich. Vielleicht bedenken manche Eltern, was damit den Kindern angetan wird – wer sich nicht in einer höheren Macht geborgen, aufgehoben, willkommen weiß, kann auf der Erde nicht wirklich gut wurzeln. Und diese These hat auch etwas Bedenkenswertes – wer als Kind nicht beten gelernt hat, kann im Alter nicht segnen. Wer von uns kann behaupten, dass er des Segens nicht bedarf?
Heike Herolds Illustrationen lockern das Buch auf, wobei der Text, bei allem Ernst, von tiefem Humor geprägt ist. Es ist ein wunderbares Lesebuch für Groß und Klein. Mag sein, dass das Bild vom Engel darin sehr kindlich ist, doch auch das ist durchaus wünschenswert. Für so viele tragische Ereignisse findet der kluge Lehrer Gabriel erläuternde Worte für den kleinen Mike, der sogar T-Mails verschicken kann, so gelingt es Gabriel auch, die Leser aufmerksam zu machen auf die vielen Wunder, die sich unbemerkt ereignen, jeden Tag. Und so schaffen wir es nach der Lektüre vielleicht, das Wunder des geteilten Meeres zu bestaunen, anstatt über die schlammigen Klamotten zu lamentieren. Nicht vergessen – nehmen Sie Reißverschlüsse, wenn Sie am Himmelstresen Ihren Umhang abholen und denken Sie an die Socke für den Heiligenschein!
csc

Warten und Lauschen

Johann Wolfgang von Goethe/Peter Schössow: Meeres Stille und Glückliche Fahrt. Durchgehend farbig illustriert. 40 Seiten, gebunden. 14,90 Euro. Hanser Verlag. ISBN 3-446-20433-3.

nach oben Goethe für Kinder ist durchaus kein Wagnis, wenn man die Sprache mit Bildern verknüpft, die den Text mit Leichtigkeit mittragen. Wie öd und langweilig das Meer ist, wenn kein Hauch zu spüren ist! Das Segel hängt schlaff, das Land ist weit entfernt, der Mensch ist ganz allein auf hoher See und auf sich selbst angewiesen. Wie anders geht es da zu, wenn erst ein laues Lüftchen weht und später dann sogar die Segel weit gebläht das kleine Schiff förmlich dem Ufer entgegenwerfen!
Goethes Text und Schössows Bilder gehen eine beeindruckende Synthese ein, die Worte des Dichters sind sensibel in Bilder umgesetzt und so entstand hier ein zauberhaftes Bilderbuch, das für Groß und Klein gleichermaßen eine Freude ist. Weltliteratur fürs Kinderzimmer muss nicht trocken sein, und so haben nicht nur die Kleinen etwas von diesem Buch, sondern auch alle Großen, die das Meer lieben.
csc

Mit Zauberaugen sehen

Renate Grünewald/Antonie Schneider: Pétö, der Zauberer. 32 Seiten, geb. 12,50 Euro. Freies Geistesleben. ISBN 3-7725-2033-2.

nach oben Ein wenig lässt einen Pétö mit seinen bunten Kleidern an den Zirkus denken, er hat etwas von einer Kinderzeichnung und vom Stil der DDR-Bilderbücher aus den Siebzigern und doch ist er etwas ganz Eigenes: ein Strichmännchen mit Hut und großen Schuhen, gezeichnet von Renate Grünwald, von der auch die Bilder in „Oskar und der große Och“ stammen. Pips, der kleine geflügelte Punkt, bringt den Stein ins Rollen: „Ich sehe was, was du nicht siehst!“, sagt er und erzählt Pétö daraufhin genau, was er alles an ihm wahrnimmt, was er tut, aber auch wie er sich fühlt, mal gut, mal schlecht. Die Farben wechseln dabei durch den ganzen Farbkasten, wobei sich Pétö mittendrin wie ein Chamäleon mitverwandelt, denn seine Kleider sind durchlässig und ändern nur ihr Muster. Zu der Kreide auf dem flächigen Buntpapier gesellen sich noch einige ausgeschnittene Formen und dem gegenüber die großen handgeschriebenen Buchstaben, die in steter Wiederholung Frage und Antwort aneinander reihen. Damit entspricht dieses Bilderbuch genau den Bedürfnissen der Drei- und Vierjährigen, die an Pétö und Pips sicher ihre Freude haben werden. Schließlich sind sie ja selbst noch kleine Zauberer, die sehen, was wir nicht mehr sehen.
Ulrike Schmoller

Köstliche Verhörer

Axel Hacke/Michael Sowa: Der weiße Neger Wumbaba. 64 Seiten. 8,90 Euro. Kunstmann. ISBN 3-88897-367-8.

nach oben „Der Wald steht schwarz und schweiget/ und aus den Wiesen steiget/ der weiße Neger Wumbaba.“ Was für köstliche Verhörer hat Axel Hacke in diesem Büchlein gesammelt! Vom Kind, das nach Hause kommt und erzählt, morgen käme der Erdbeerschorsch in die Schule, um alle zu filmen, der sich dann als firmender Erzbischof entpuppt. Oder von Mutter Weinezehr, die ihr Hänschen vermisst, das ihr dann von Herrn Dabesin wieder gebracht wird. Wer hat nicht so seine Textstellen, die er von klein auf nicht oder falsch verstanden und deshalb mit Hilfe der eigenen Phantasie so ergänzt hat, dass sich eine zwar annehmbare, aber ungewöhnliche, Lösung ergab. Axel Hacke hat unzählige Leserzuschriften, die ihn zu einem Artikel erreichten, gesichtet und in einen Zusammenhang gebracht. Er zählt sie nicht einfach auf, sondern stellt Ähnliches zueinander, kommentiert und übersetzt wenn nötig, so dass der Lacherfolg sicher ist. Die Bilder von Michael Sowa illustrieren die Abstrusitäten mit einer augenzwinkernden Selbstverständlichkeit, die das Bändchen zu einem wunderbaren Geschenk machen.
Ulrike Schmoller

Wärme für Schneemänner

Wolfram Hänel/Uli Waas: Als die Schneemänner Weihnachten feierten. 32 Seiten. 12,80 Euro. Nord-Süd-Verlag. ISBN 3-314-01257-8.

nach oben Diese armen Schneemänner! Draußen ist es so kalt, dass sie frieren, die Kirche ist voll, weil Heiligabend ist, und im Wirtshaus ist es zwar gemütlich, dabei aber so warm, dass sie schmelzen. Wo sollen sie bloß hin? Da kommen auf einmal die Kinder heraus und bauen viele viele Schneemänner, damit sich Rudi, Gustav und Carl nicht alleine fühlen. Das gibt ein Hallo und ein fröhliches Feiern im Schneetreiben!
Die Schneemänner, naturgemäß begrenzt in ihrem Ausdruck, strahlen vor allem Rundheit und Freundlichkeit aus. In der blau-kühlen Schneelandschaft fühlen sie sich genauso unwohl wie in der warmen gelben Gemütlichkeit in den Häusern der Menschen. Doch die Kinder bringen ihnen Herzenswärme, Lebensfreude und Festlaune.
Sicher kein weltbewegendes Bilderbuch, das aber durch seine fröhliche Grundstimmung anspricht.
Ulrike Schmoller

Wir waren frei

Esther Hautzig: Die endlose Steppe. Roman. Aus dem Englischen von Ulrike A. Pollay. 248 Seiten, Taschenbuch. 6,90 Euro. Verlag Beltz&Gelberg. ISBN 3-407-78097-4.

nach oben Esther Rudomin ist zehn Jahre alt, als russische Soldaten die polnische Stadt Wilna von „jüdischen Kapitalisten säubern“ – mit ihren Eltern und ihrer Großmutter wird sie nach Sibirien verschleppt. Was von deutscher Seite her die Nazis an Gräueltaten verüben, erlebt Esther auf der russischen Seite. Die Gruppe aus Polen kommt in ein Arbeitslager und dort lernt Esther, was es heißt, ausgestoßen, bettelarm, erniedrigt, rechtlos zu sein. Die Menschen sterben wie Fliegen in der eisigen Kälte der sibirischen Landschaft, auf die sie nicht vorbereitet wurden, gegen die sie sich nicht wappnen konnten bei dem blitzartigen Aufbruch. Was der Einzelne ist, zählt im Lager nicht. Hier ist wichtig, wer arbeitet und wer das Wetter übersteht, die Einsamkeit, das Gedränge von zig Personen auf engstem Hüttenraum. Es sind nicht nur die Kälte, der eisige Wind, die Erfrierungen, der bohrende Hunger, sondern auch der psychische Druck, die Angst um die Angehörigen zu Hause, die räumliche Enge in einer Landschaft, die so weit ist, dass man sich nach einem begrenzenden Baum sehnt. Esther lernt wie so viele Mitmenschen dieser dunklen Zeit das Grauen kennen, sie muss am eigenen Leib erfahren, wozu Menschen fähig sind und doch – vielleicht liegt es daran, dass sie mit zehn Jahren auch in dieser Epoche, in der Kindheit nicht stattfindet, trotz allem Kind sein darf – sie sieht in der Landschaft auch die stille Schönheit, in einem Stück Brot das Glück und sie darf sogar die russische Schule besuchen, das Paradies. Wer in Gedanken nicht immer im Elend, im Dreck, im Geduckten leben muss, hat Überlebenschancen. Als die Familie endlich wieder nach Hause darf, ist ihr der Weg dorthin versperrt, die „sibirischen Polen“ werden umgesiedelt, Esthers ehemaliges Haus ist längst wieder bewohnt, all ihr Besitz ist weg. Die Familie muss ganz neu anfangen und sie tut es in großer Einsamkeit, den Zweiten Weltkrieg haben in der Familie Rudomin kaum Mitglieder überlebt. Wer nicht in Russland gestorben ist, wurde von den Nazis umgebracht, hat das KZ erleiden müssen.
Der Blick auf die polnischen Juden, die von Russen verschleppt worden sind, ist eher ungewohnt, das Thema noch nicht so präsent in unseren Köpfen. In Russland wurden die Menschen in den Arbeitslagern nicht vergast, aber ihre Lebensbedingungen waren ebenso grauenhaft. Auch sie waren mehr oder minder vogelfrei, doch mit den Jahren haben sie sich arrangiert und sie mussten nicht in permanenter Angst vor Selektionen, Vergasung, neuem Schrecken leben, doch Gefangenschaft ist Gefangenschaft. Wie viele Menschen dort gestorben sind, innerlich und äußerlich zerbrochen und schwerst krank wurden, vermag keiner zu sagen. Esther hat überlebt. Besonders ergreifend ist es zu lesen, dass Esther aus dem sibirischen Dorf gar nicht zurück nach Polen möchte. Sie, jahrelang eingesperrt, nicht nur in das einzige Paar längst zu kleiner Schuhe, sondern auch in einen geistigen Käfig, hat Angst vor der Freiheit, Angst vor dem, was nun kommt. Das Grauen kennt sie, das kann sie einigermaßen einschätzen, sie weiß, wie sie wenigstens überleben kann, aber die neue Freiheit ist ein Schock. Kaum in Polen, muss die Familie mit einer unerwarteten Hasswelle fertig werden – die Polen wollen die „Russen“ nicht. Das gelobte Land, an das die Familie all die Jahre der Verbannung als Ziel vor Augen hatten, ist nicht mehr ihr altes Polen. Alles muss nun neu gedacht, neu gelebt, neu definiert werden. Esther Hautzigs Buch schildert diese schrecklichen Jahre, in denen sie alles verloren hat, aus Sicht der Heranwachsenden, ihre Gedanken, ihre Sorgen, Ängste, aber auch die kleinen Freuden, die winzigen Lichter, die die schwarzen Jahre ein bisschen erleuchten konnten. Esther hat überlebt und so heißt auch der letzte Satz: „Die Jahre da draußen in der Steppe waren zu Ende und wir waren keine Verbannten mehr. Wir waren frei.“ Fünf Jahre Sibirien waren endlich Vergangenheit. Für ein Kind von zehn Jahren sind fünf Jahre eine Ewigkeit.
csc

Der Trauer ihren Raum lassen

Christoph Hein: Mama ist gegangen. 146 Seiten. Verlag Beltz&Gelberg. ISBN 3-407-79853-9.

nach oben Ulla, ihre älteren Brüder Karel und Paul und ihre Eltern sind eine glückliche Familie, in der jeder seine Eigenheiten haben darf. Doch plötzlich wird ihre schöne, geliebte Mama schwer krank und stirbt wenig später. Auf einmal ist alles anders. Für alle ist unfassbar, dass sie das Lachen ihrer Mutter nicht mehr hören, sie fehlt ihnen sehr und dazu kommt, dass sie praktische Dinge wie das Kochen erst lernen müssen. „Frag Mama!“, sagen sie selbstverständlich, als ob sie nur kurz weggegangen wäre. Das Mitleid und die Rücksicht ihrer Umwelt ist ihnen eher unangenehm, gut gemeint nicht immer richtig, so dass sie lieber versuchen selbst zurecht zu kommen. Bei den Kindern schrillen auch sofort die Alarmglocken, wenn eine weibliche Besucherin mehrmals auftaucht. Der Vater arbeitet als Bildhauer an einer Pietà, von der er sich lange nicht trennen kann, und in der sich der Trauerprozess widerspiegelt. Am Ende können die Vier sehen, dass der Kummer über den Tod niemals schwerer wiegen kann als die Freude über das gemeinsame Leben.
Christoph Hein schreibt nie sentimental und lässt doch der Trauer ihren Raum. Die Verstorbene wird nicht totgeschwiegen, sondern lebt in jeder Erinnerung, in den Dingen, mit denen sie umgegangen ist und im Werk ihres Mannes. Ein leiser Schmerz zieht sich durch die Geschichte und doch bleibt sie immer getragen von Wärme und Trost, von intensiven Gesprächen und weisheitsvoller Erkenntnis. Alles ist anders geworden, ja.
Für Kinder ab 11 Jahren, die ein ähnliches Schicksal erfahren, kann dieses Buch eine Hilfe sein, aber auch für Nicht-Betroffene ist es gut, sich einmal in eine trauernde Familie hineinzuversetzen.
Ulrike Schmoller

Hochspannung garantiert!

Wolfgang und Heike Hohlbein: Midgard. 368 Seiten, kartoniert. 8,50 Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-36373-0.

nach oben So haben Sie die verwirrenden germanischen Sagen noch nie gelesen! Ja! Wer sich schon immer für Walhalla, Odin, Thors Hammer und die entscheidende Schlacht um das Überleben der Götter interessiert, aber leicht entnervt ob der Namen und Ereignisse aufgegeben hat, dem sei das Buch als Pflichtlektüre an die Hand gegeben. Von der ersten bis zur letzten Seite (leider nur 368 kurze Seiten!!) frisst man sich durch die Geschichte des Findelkindes Lif, in dessen Hand das Schicksal von Menschen und Asen liegen wird. Es ist ein weiter Weg zum Bauernhof am Meer, in dem die Armut zuhause ist, bis hin zur Schlacht am Ende aller Tage und Lif, der niemals auch nur das Geringste von den Göttern gehört hat, braucht erst mal einen Schnellkurs in Asenkunde und eine Einführung in das Horrorszenario, das die germanische Sagenwelt aufzubieten hat, ehe er am Ende der Schlacht seinem Bruder Lifthrasil auf dem Berg, übersät mit toten Kämpfern, gegenübersteht. Es ist der allerletzte Kampf, der an diesem Tag, an dem die alte Welt komplett untergegangen ist, ausgetragen werden soll und das Ende ist vollkommen unerwartet.
Heike und Wolfgang Hohlbein entführen den Leser in eine Welt aus Eis und Schnee, hin zu den Göttern, bis hinein in die Unterwelt, man lernt nicht nur den Fenriswolf und die Midgardschlange kennen, auch Helfer gibt es, die auf der Seite des Guten kämpfen. Nur – was ist gut? Was ist böse? In wessen Hand liegt das Schicksal der Welt? Sind es die Nornen, die an den Schicksalsfäden weben? Gestalten etwa die Menschen das künftige Schicksal?
Die germanische Götterwelt ist prallvoll mit wunderbaren Bildern. Wir haben kraftvolle Götter wie Thor, mutige Götter wie Baldur, die sich doch vor dem Tod fürchten, entsetzliche wie den Feuergott (der Herr der Ringe lässt grüßen, kein Leser wird in Surtur etwas anderes sehen als den Feuergeist, der den armen Gandalf in die Tiefe riss) und Loki, der das Böse in die Welt bringt, ohne das das Gute auch keine Existenzberechtigung hätte. Walhalla, Bifröst, der Regenbogen, der in die Götterwelt führt, die Midgardschlange, Fenris und viele mehr – hier werden aus den Mythen greifbare Gestalten, die handeln, hoffen, bangen und agieren. Am Ende entscheidet sich das Schicksal der Götter und der Menschen, werden die Fäden neu sortiert, ein neues Muster muss beginnen.
Jede Zeile mehr wäre überflüssig, los, lesen! Gerade für Heranwachsende ist das Buch ausgezeichnet, denn sie tragen sich im Idealfall mit ähnlichen Fragen und stehen vor vergleichbaren Problemen wie der Junge Lif, auch wenn davon nur ihr eigenes Leben und nicht das der Menschheit abhängt. Und Hohlbein garantiert Spannung – Versprechen gehalten!
csc

Auf einem Gummi-Gummi-Berg

Janosch: Das große Buch der Kinderreime. Die schönsten Kinderreime aus alter und uralter Zeit aufgesammelt sowie etliche ganz neu dazuerfunden und bunt illustriert. 194 Seiten mit zahlreichen farbigen Illustrationen, gebunden. 14,90 Euro. Verlag Beltz&Gelberg. ISBN 3-407-79882-2.

nach oben „Ein Vogel wollte Hochzeit machen in dem grünen Walde“ – das schaffen wir noch einigermaßen. Hänschen Klein geht vermutlich auch noch. Aber wie war das noch mit „Da hast du nen Taler, gehst auf den Markt“? Oder mit „Widele wedele“? „Zwischen Berg und tiefem Tal“? Oder gar „Guten Abend, gute Nacht?“ Jaja. Der Geist ist willig, das Gedächtnis eher schwach. Die Melodie haben wir ja ganz genau im Kopf, aber nach der zweiten Strophe herrscht ein gewisses dunkles Nichts, wie gelöscht. Dabei haben wir doch zu dem einen Sprung immer Gummitwist gemacht und Hüpfkästchen und so! Machen Sie sich keine Sorgen, Sie sind nicht alleine. Damit wir jetzt aber nahezu alle Sprüche ferner Kinderjahre wieder greifbar haben, einfach weil es Spaß macht, weil aus Kindern schnell Eltern und noch schneller Großeltern werden und man immer in die Verlegenheit kommt, gelangweilte Zweijährige wenigstens kurzfristig zu beschäftigen, hat Janosch sich hingesetzt und mit unverkennbarem Strich Altbekanntes und längst Vergessenes zum Leben erweckt. Jede Seite ist eine Entdeckung. Ach ja! Weißt du noch? So was eben. Das, was wir brauchen wie Lebkuchenduft im November und verschmierte Himbeermünder im Sommer, das Planschen durch Pfützen und das Anfeuern von Rennschnecken. Brauchen Sie nicht? Armer Mensch. Damit aber kein Leser ins Sentimentale abgleiten kann, finden sich zwischen all den „bewährten“ Sprüchlein, Reimen, Zungenbrechern und Wortspielereien immer wieder ein paar Original-Janoschs der Marke „Liebe Sonne scheine, auf meine kalten Beine. Lieber das Geld versaufen, als ein Paar Stiefel kaufen.“ Erinnern Sie sich noch an die Rätselverse? Abzählreime? Die Kniereitersachen? Neckverse, Lügenmärchen, Wiegen-, Schlaf- und notfalls Schaflieder? Nö? Bestens. Sie brauchen dringend dieses Buch und mit einem Schlag fällt Ihnen der ganze Blödsinn wieder ein. Wenn Sie mal ganz ehrlich zu sich selbst sind – auf das Buch haben Sie gewartet. Keines schenkt Ihnen auf einen Schlag soviel gute Erinnerung! Kleiner Tipp für Eltern und Großeltern: Schenken Sie dem Nachwuchs auch so schöne Reime und Verse. Fürs Lebenspolster ist das unerlässlich und optimal. Das ist aktive Lebenshilfe! Davon abgesehen fehlt in Ihrer Sammlung sicherlich noch das eine oder andere Bild von Janosch, oder?
csc

Freundschaft will erarbeitet sein

John Kilaka: Gute Freunde. Aus dem Englischen übersetzt von Katharina Ulrich, bearbeitet von Helene Schär. 32 Seiten, gebunden, farbig illustriert. 13,90 Euro. Atlantis Verlag. ISBN 3-7152-0495-8.

nach oben Gute Freunde Freunde – was kann einem Besseres passieren? Man ist nicht allein, trägt Freude und Leid miteinander und kann so manche Krise im Leben besser bewältigen. So geht es auch den Tieren in Tansania, die mit Ratz Ratte befreundet sind. Das ist ein kluges Kerlchen, denn er kann Feuer machen. Und das teilt er auch gern mit allen seinen Freunden, damit die sich ihr Essen kochen können. Wenn alles gutgeht, ist Freundschaft einfach. Sie muss sich bewähren und das erfahren auch Ratz Ratte und Elefant, sein allerbester Freund. Ratz Ratte hat sich einen guten Vorrat an Futter angelegt und als eine lange Trockenzeit die Ernte vernichtet, sorgt sich der große Elefant, der keine Reserven hat. Er neidet Ratz Ratte seine Schätze und erklärt ihm, dass sein Haus ein Dach und feste Wände hat und die Vorräte der Ratte bei ihm doch so viel besser geschützt seien. Das ist ein gutes Argument und Ratz Ratte überlässt seinem Freund beruhigt seine Vorräte. Immer trockener wird es, es gibt kein Futter mehr und Ratz Ratte besucht seinen Freund, um sich seine Vorräte zu holen. Doch Elefant ist knallhart – er bekommt nichts, er verjagt seinen kleinen Freund.
Bis sich beide wieder treffen und ihre Freundschaft erneuern können, muss Elefant einiges aushalten. Am Ende haben beide begriffen – auch Freunde können Fehler machen, entscheidend ist, das Unrecht einzusehen, sich zu verzeihen und einander neu zu vertrauen.
Die Fabel, die es in unserem Kulturkreis mit einer Grille gibt, ist ein Lehrstück für Groß und Klein. Was an diesem Buch aber so besonders schön ist, sind die Bilder. John Kilaka malt mit kräftigen Farben und klarem Strich. Vor den Leseraugen entsteht ein afrikanisches Dorf, die Tierwelt, das Licht, die Baumformen – alles entführt den Leser in seine Heimat. Das berühmte Spiel afrikanischer Kinder findet sich in den Bildern ebenso wie Ohrschmuck , geflochtene Matten und Körbe und die Architektur der Hütten und Häuschen. So erzählt Kilaka eigentlich zwei Geschichten, die Fabel im Text, die er illustriert, und die Geschichte seiner Heimat und so können in den Bildern immer wieder neue Entdeckungen gemacht werden.
Im Vorspann ist geschildert, dass John Kilaka schon in der Schule gern malte, was seine Lehrer wegen des Kreidekonsums nicht erfreut hat. Dass aus ihm nun ein Kinderbuchautor geworden ist, war sicherlich ein harter Weg aus seinem Dorf hinaus bis in die Welt der Bücher. Nicht umsonst hat er kürzlich den Bologna Ragazzi Award New Horizons für das Buch erhalten. Von den kräftigen Farben und den unverkennbaren Figuren werden wir hoffentlich noch einiges sehen können und nicht zuletzt erkennt man erstaunt – die Fabelwelt unterscheidet sich international kaum voneinander. Die Grundthemen der Menschen sind überall gleich. Sollte das nicht zu denken geben in einer Welt, in der viele meinen, auf andere herabschauen zu dürfen?
csc

Kuhfuss wagt Befreiungsschlag

Werner Kuhfuss: Die Waldorfkindergartenpädagogik. Eine Ermunterung, diese einmal von der Geisteswissenschaft her zu prüfen. 103 Seiten, kartoniert. 13,– Euro. Ch. Möllmann Verlag.

nach oben Von Zeit zu Zeit wird es notwendig, das Gewordene genau zu überprüfen, Gewohntes in Frage zu stellen, sich von eingespielten Traditionen zu verabschieden und die Karten neu zu mischen, damit der Strom des Lebendigen nicht versiegt. Den Zündstoff, um die Waldorfkindergartenpädagogik in Schutt und Asche zu legen, bietet Werner Kuhfuss mit diesem Buch. Ob ein Phoenix daraus aufsteigen kann oder ob es selbst auf dem Scheiterhaufen des Unmuts verbrannt wird, mag die Leserschaft entscheiden.
Sein Hauptvorwurf lautet, die Waldorfkindergartenpädagogik sei dem „Jesuitismus“ verfallen, der Unfreiheit des Willens, die sich sowohl in der Prägung des kindlichen Ätherleibes durch eine starre Zeiteinteilung, einem bloßen Vollziehen von Vorgedachtem durch die Erziehenden wie durch den Machtmissbrauch der Nachahmungskräfte äußert. Brave und angepasste Idealkinder würden da herangezogen, die einem Modell entsprechen müssen statt ihre vorgeburtlichen Ziele zu verwirklichen, die in einer Püppchen- und Zwergenwelt infantilisiert werden statt in den Kulturmysterien unterwiesen zu werden und damit lediglich die pädagogische Absicht der Erwachsenen nachahmen können und nicht einen Kulturimpuls. Die Kindergärtnerinnen hielten aus Angst vor dem Chaos an gewohnten, festgefügten Ritualen fest und griffen damit massiv in das Willensleben der Kinder ein, der Zeiterscheinung, dass das Spiel immer mehr versiegt, werde durch noch mehr vermeintlich gute pädagogische Impulse geantwortet. Er sieht die Zukunft im zur Verfügung Stellen von echten Werkstätten, in denen Erwachsene, die es zu einer gewissen Meisterschaft gebracht haben, ihrer fleißigen und rhythmischen Arbeit nachgehen. Nur unter dieser Bedingung könnten die Kinder in eine freie, absichtslose Nachahmung kommen. Das „suchende schöpferische Heranbringen von sinnlich erfahrbaren Elementen“ unter Einbeziehung der ätherischen und elementarischen Welt werde so zum authentischen Erziehungsmittel. Den Kindergartenmitarbeiter sieht er als sozialen Künstler, der als „Herz“ den vorhandenen Kreislauf durch seine Ich-Kraft reguliert statt willentlich zu pumpen, einen der nicht dem Kind gegenüber, sondern hinter ihm steht und in die Zukunft blickt.
Kuhfuss wagt den Befreiungsschlag, schaut bis in die Entstehungszeit der Waldorfkindergartenpädagogik zurück und hinterfragt ihre Entwicklung gründlich und deutlich. Nach der ersten Empörung, dem Aufschrei des eigenen Gewohnheitsleibes und der Rationalisierung des alltäglichen Tuns stellt sich eine wohltuende Belüftung jenseits moralisierender Enge ein. Seine Beobachtungen sind durchaus schlüssig hergeleitet und begründet, das anvisionierte Modell ist im Prinzip von Anfang an der Kern der Waldorfkindergartenpädagogik gewesen. Welche Waldorfkindergärtnerin und welche Familienmutter weiß nicht, dass sie selbst mit echter, pulsierender Freude ihrer Arbeit nachgehen muss, damit die Kinder daneben ins Spiel kommen?
Kuhfuss’ Buch kann sensibilisieren für den toten Punkt, an dem man den Zugang zu den spirituellen Quellen verliert und anfängt leere Hüllen zu bilden, kann anregen neu darüber nachzudenken, was Waldorfpädaogik eigentlich ist.
Ulrike Schmoller

Da hat Eddie noch einmal Schwein gehabt!

Viveca Lärn-Sundvall: Schwein gehabt, Eddie. 208 Seiten, gebunden. 9,90 Euro. Oetinger Verlag. ISBN 3-7891-4154-2.

nach oben „Wir dürfen nur drei Probleme haben,“ meint Eddie, „vier sind zuviel“. Für einen Zweitklässler hat Eddie aber auch eine Menge Sorgen: da ist zum einen das Gold, das er im Wasserfall hat schimmern sehen und mit dem er große Pläne hat, da ist sein Vater, der erst seit einigen Monaten trocken ist und der zum Quartalsgespräch in die Schule kommen soll, und vor allem steckt er in einem unausweichlichen Dilemma, weil er in der Klasse erzählt hat, er habe ein Schwein zu Hause, und nun wollen Ida und Ellen ihn besuchen kommen, um es anzuschauen. In diesem Fall hilft es auch nicht mehr, seinen Kopf mit kaltem Wasser zu kühlen. Als auch Bauer Elvis Johansson ihm keines seiner Schweine ausleihen will, verschafft ihm seine frühere Lehrerin Fräulein Kröte in letzter Minute noch ein Minischwein. Eddie nimmt dennoch all seinen Mut zusammen und rückt die Tatsachen gerade. Beim Tag der Natur kann er endlich auch seiner neuen Lehrerin beweisen, dass er nicht nur vor sich hin träumt.
Eddie ist in der Tat ein Kind mit viel Phantasie, dass sich eine kindliche Erlebenswelt zurechtdenkt, die jenseits der Erwachsenenlogik liegt. So leicht entrückt, abschweifend und mit verqueren Gedankengängen er in der Schule wirkt, so liebevoll und innig ist er in „seinem“ Wald mit den kleinen Dingen verbunden. Für ihn ist es tatsächlich von Bedeutung ob der grüne Warzenbeißer draußen friert. Mit viel Ruhe geht die Autorin mit ihrem liebenswerten Helden mit und lässt uns über seine unverstellten Kommentare schmunzeln.
Für Kinder zwischen acht und zehn ist dieses Buch rundum zu empfehlen.
Ulrike Schmoller

Ein leiser Hauch des Grauens

Iain Lawrence: Die Tochter des Leuchtturmwärters. Aus dem Englischen von Christoph Renfer. 253 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag. Verlag Freies Geistesleben. ISBN 3-2247-57725.

nach oben „Im Bug des Schiffs, hoch über dem Meer, steht ein siebzehnjähriges Mädchen – wie eine Gallionsfigur aus Holz, die Arme regungslos, das Haar fein geschnitzt und golden bemalt.“ „Durch die schwarzen Wogen stampfend trägt sie die Cloo Stung davon. Das Leuchtfeuer versinkt im Wasser. Im peitschenden Wind steht die Tochter des Leuchtturmwärters.“ Der erste und der letzte Satz aus dem neuen Buch von Iain Lawrence. Zwischen diesen beiden Sätzen spannt der Autor, der auf den Gulf Islands in British Columbia lebt, die Geschichte der Familie McCrae, die auf Lizzie Island wohnen, einem winzigen Eiland mit einem Leuchtturm. Vater Murray, seine Frau Hannah und ihre beiden Kinder Elizabeth, Krabbe genannt, und Alastair leben auf diesem kleinen Fleck im Meer, fernab von der Zivilisation, auf sich alleine gestellt, mit der Welt nur durch Funkgeräte verbunden und durch das Licht, das vom Leuchtturm übers Wasser gleitet und den Schiffen Geleit gibt.
Für die Kinder des Leuchtturmwärters ist die Insel zunächst einmal der einzige Ort, den sie kennen, das Paradies, in dem es vor Fischen, Vögeln, Muscheln, Schnecken und Buckelwalen nur so wimmelt, doch je älter die Kinder werden, desto deutlicher wird ihnen klar, dass die Welt aus mehr besteht als nur Natur und den Eltern.
Krabbe ist ein relativ unkompliziertes Mädchen, das zunächst recht unbeschwert durchs Leben rennt, doch ihr Bruder hat da andere Sorgen. Sein Augenlicht lässt mehr mehr nach und dafür wird die Faszination, die die Buckelwale mit ihren Gesängen auf den zarten Jungen mit der Flöte ausüben, immer stärker. So stark, dass Alastair eines Tages den Weg hinaus ins Meer wählt, um nie mehr zurückzukehren.
Bis es zu dieser Katastrophe kommt, die der engen Gemeinschaft sehr schmerzlich vor Augen führt, dass sie seit Jahren schon nicht mehr die nette Familienrunde ist, an der jeder krampfhaft festhält, versuchen die einzelnen Mitglieder der Familie McCrae, jeder auf seine Weise, mit der Isolation auf dem Eiland klarzukommen. Murray vergräbt sich hinter seinen Büchern und Tieren, sein Leben wird von den Aufgaben eines Leuchtturmwärters getaktet und er blendet alles aus, was ihm schmerzlich erscheint. Hannah hat ihre eigene Sicht der Dinge und sie wird auch die Insel verlassen, anders als ihr Sohn, der sich immer mehr verstrickt in sein eigenes Netz und die Flucht nur durch den Tod schafft, anders als Krabbe, die von einem anlandenden Kajakfahrer schwanger wird und zur Geburt des Kindes die Insel verlässt und zurückkehrt.
Krabbes Rückkehr ist der Moment, in dem sich die drei übrig gebliebenen Familienmitglieder der Realität stellen müssen, jeder seiner eigenen Angst, seine Sicht der Dinge zur Diskussion stellen muss. Krabbes Tochter, introvertiert, später auf Murray fixiert, löst manche Assoziation bei den drei Erwachsenen aus und so lernt der Leser nach und nach die Geschichte der McCraes kennen und verfängt sich immer mehr in einem ganz subtilen Netz aus Einsamkeit, Isolation, Trauer, Wahnsinn, Schuld und Sühne.
Wie es die Leser schon von Lawrences Buch „Der Geist“ kennen, zeichnet der Autor auch hier sehr subtil und feinsinnig, mit Gespür für ungewöhnliche Menschen und einem sehr speziellen Blick auf die Menschen, ein komplexes Beziehungsgeflecht von Menschen, die am und im Leben scheitern, doch daraus die Kraft ziehen, alte Ketten zu sprengen und neue Wege zu gehen, auch wenn dieser Befreiungsakt alles andere als einfach ist. Es ist ein Buch, das durch das leise Grauen fesselt, das einen beim Lesen beschleicht, das keine klaren Antworten liefert, das Interpretationen offen lässt.
Das Titelbild setzt hervorragend um, was man beim Lesen fühlt. Das Blau ist noch zu sanft, es müsste eine Farbe sein, die fahler ist, nicht so heiter wirkt, aber sonst ist das Cover so gut, dass es extra erwähnt werden sollte. Ein Buch für Jugendliche, die auf der Suche sind, nach sich, nach dem berühmten Sinn des Lebens, nach dem Woher und Wohin. Vor allem Alastairs Gedichte im Buch sind berührend.
csc

Hillevi und Violas Geheimnis

Marjaleena Lembcke: Die Fremde im Garten. 144 Seiten, geb. 12,90 Euro. Nagel und Kimche. ISBN 3-312-00954-5.

nach oben Die zwölfjährige Hillevi hat in ihrem kleinen finnischen Dorf einen Lieblingsplatz, einen verlassenen Garten mit überquellender Blumenpracht, an den sie sich gerne zurückzieht um sich Geschichten um das Haus und ihre ausgedachten Freunde zusammenzuträumen. Eines Tages sieht sie am Fenster, in „ihrem“ Garten, eine Frau, über die sie gerne mehr wissen möchte, doch von ihren Eltern erfährt sie nur, dass Viola viele Jahre in einer Nervenheilanstalt war. Etwas scheint diese Frau zu umgeben, das dem Mädchen verschwiegen bleiben soll. Hillevis Gedanken kreisen um dieses Geheimnis so wie sie um das Haus herumschleicht, bis sie eines Tages von Viola angesprochen wird. Zwischen dem Mädchen und der älteren Frau, die sich ehrlich und integer äußert und sich ihren Stolz und ihre Unabhängigkeit auf ihre Art bewahrt, entspinnt sich eine sachte Freundschaft. Im Übernehmen kleiner Dienste für Viola enthüllt sich Stück für Stück deren Geschichte, die am Ende eng mit der Hillevis verbunden ist. Es ist eine herausgehobene Zeit, die sie mit Viola verbringt, in der der Alltag einer Heranwachsenden, sei es die erste Periode oder die erste Verliebtheit, für Momente zurücktritt. Die bürgerliche, behütende Welt der Fünfziger Jahre, die auf eine freundliche, aber watteartige Weise voller Tabus ist, und die kompromisslose, aber isolierte Lebensweise Violas verbinden sich durch Hillevis Person und ihr Interesse.
Die ruhige Schreibweise der Autorin lässt der Geschichte Zeit, sich zu entwickeln. Viele der in der Luft hängenden Fragen müssen nicht gestellt werden und beantworten sich selbst, wenn es an der Zeit ist. Hillevi erobert sich ein Stück eigenes Leben und ein Gespür für die Echtheit wächst in ihr, das ihr auch bei der Einschätzung ihrer Freunde hilft. Ein sehr schönes Buch!
Ulrike Schmoller

Liebe zwischen den Welten

Waltraut Lewin. Samoa. 333 Seiten, gebunden. 14,90 Euro. Verlag Gerstenberg. ISBN 3-8067-5093-0.

nach oben Samoa Upolu, Samua. 1904. Adam Landmann kehrt auf seine westsamoanische Insel Upolu zurück, sieben Jahre hat der junge Mann im eiskalten, fernen Berlin verbracht auf Anordnung seines Vaters, um dort das Abitur zu machen. Endlich kommt er nach Hause zurück, sieben Jahre hat er ständig von Upolu geträumt, von der Sonne, der Wärme, dem Licht, dem ganz anderen Leben, das sich vom Alltag in der Großstadt Berlin so gewaltig unterscheidet, und von der Freundlichkeit der Samoaner. Während der Fahrt hört er so manches Gerücht, sieht er Kriegsschiffe vor den Inseln und als er Upolu wiedersieht, muss er feststellen – es ist eine neue Zeit angebrochen. Die Insel wird systematisch besiedelt, wo früher gemütliche Samoaner die Felder bebauten, schuften jetzt chinesische Arbeiter, eine neue Ordnung ist angebrochen, aber auch ein bisher nicht vorhandener harter Tonfall der Konfrontation.
Die politischen Querelen zwischen den Staaten, den einzelnen Machtpositionen, der Kampf seines Vaters, Pastor Landmanns, mit dem Oberhaupt der Samoaner und dem Gouverneur, sein jüngerer Bruder Albrecht mit seiner oberflächlichen Lebensauffassung – das alles spielt für Adam Landmann in dem Moment keine Rolle mehr, als er Moana erblickt, die Spielgefährtin glücklicher Kindertage, eine samoanische Prinzessin. Kriegsgefahr, Machtkämpfe bis hin zur Überlebenssorge, all das, was seine Eltern belastet, ist für Adam nicht mehr existent. In seinem Leben gibt es nur zwei Dinge – das Klavier, das ihm sein Onkel mit auf die Reise gegeben hat, und die Liebe zu Moana.
Vor dem Hintergrund der Machtpolitik, der Übergriffe gegen die Eingeborenen, der Brandanschläge, des kolonialen Gebarens der Deutschtümelnden, die in Samoa nicht den gleichen Fehler wie in Afrika machen möchten, spielt sich die Beziehungskrise zwischen Adam und Moana ab, aber auch der Machtkampf zwischen Vater und Sohn und den Brüdern untereinander. Es sind viele Baustellen, auf denen Adam unterwegs ist und seiner noch mangelnden jugendlichen Erfahrung ist es zu verdanken, dass er sich in große Schwierigkeiten bringt, diese aber übersteht, wenn auch nur knapp.
Die Bewohner der Insel möchten auf keine Fall ihre Lebensweise, ihr „Fa'a samoa“ aufgeben. Ihnen sind ihre Sitten und Gebräuche, ihr Umgang mit den Dingen des Alltags wichtiger als die aufoktroyierte Auffassung der Deutschen. So verweigern sie sich und – ganz undeutsch – es wird eine friedliche Lösung gefunden. Doch bis das soweit ist, muss Adam gewaltige Einschnitte in sein Leben erfahren. Am Ende müssen alle von ihren Positionen ein ganzes Stück weit abrücken, etwas aufgeben, was ihnen lieb und teuer ist, aber dafür gewinnen sie eine neue Lebensqualität und die Chance – jeder kann vom anderen lernen.
Waltraut Lewin kommt es nicht auf eine historisch-exakte Darstellung des Kolonialismus in Samoa an. Sie erzählt die Geschichte einer großen Liebe, eines mutigen Projekts zwischen zwei Kulturkreisen, und das ist bis zum heutigen Tag eine dramatische und tief greifende Begegnung – zwischen den Liebenden gibt es keine gemeinsame Basis, jeder ist auf einem anderen geistigen Untergrund groß geworden. Da verbinden nicht die gemeinsame Herkunft, das Gedankengut, die Sitten und Gebräuche, sondern nur eines – tiefe Gefühle und das Wissen, dass der eine vom anderen lernen kann, um so eine neue, ganz eigene Kultur zu entwickeln. Fakten und Fantasie mischen sich, entstanden ist ein Buch, das den Leser in eine andere Welt mitnimmt und ihm zeigt – auch das ruhigste Paradies hat seine Störenfriede. Es geht immer nur im Miteinander und nur dann, wenn alle ein wenig von ihrer Positionabrücken lernen.
csc

Lebende Erinnerungen

Lois Lowry: mein stiller freund. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit. 178 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-58122-3.

nach oben Es gibt Bücher, die schleichen sich heimlich ins Herz hinein und werden Freunde. Lois Lowrys „stiller freund“ ist so ein Buch. Ein Mädchen erzählt anhand von vergilbten uralten Fotos die Geschichte ihrer Jugend als Tochter eines Dorfarztes. Es ist die Zeit vor dem Automobil, als Getreide noch in großen Dorfmühlen gemahlen wurde und man Säuglinge im Garten erntete. In diesen Jahren wächst Kathy umhütet im Kreis ihrer Familie auf, gern von ihrem Vater zu Patientenbesuchen mitgenommen, die das kleine Mädchen prägen und es später ebenfalls Medizin studieren lassen.
Im Dorf lebt Jacob. Jacob spricht nicht, Jacob geht nicht zur Schule, Jacob ist nämlich „gestört“. Mit Menschen hat es Jacob nicht so sehr, wohl aber mit Tieren, für die er ein wahres Händchen hat. Kathy akzeptiert er, denn sie nimmt ihn, wie er ist. Miteinander singen sie für die Pferde und die Welt bleibt stehen in Frieden.
Natürlich ist das keine heile Welt, in der die Kinder aufwachsen, es geschehen Unglücke, es passieren Missgeschicke und Träume mancher Menschen werden auf brutale Weise zerstört. Als eines Tages auf Jacob ein schrecklicher Verdacht lastet, nimmt das Verhängnis seinen Lauf, muss sich die Freundschaft zwischen Kathy und Jacob beweisen.
Ein eindringliches Buch über das Anderssein, geschrieben aus der Sicht der kleinen Kathy, aber durchaus so zusammengestellt, dass man auch die Sicht der Erwachsenen, ihre Gedanken und Gefühle, nachvollziehen kann.
Von zufälligen Fotos hat sich Lowry zu dieser stillen Geschichte inspirieren lassen. Nicht umsonst ist die Autorin preisgekrönt.
csc

Armer Infant

Christa Ludwig: Carlos in der Nacht. 352 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag. 14,90 Euro. Verlag Freies Geistesleben. ISBN 3-7725-1542-2.

nach oben Carlos in der Nacht „Christa Ludwigs Roman um den Infanten von Spanien verbindet sensible Charakterzeichnung mit spannender Handlung und gibt ein beeindruckendes Bild von der finsteren Zeit der Ketzerverbrennungen“. Das steht auf der Buchrückseite und der Leser freut sich, endlich mal was aus dieser Zeit zu erfahren, denn das ist literaturmäßig im Bereich Jugendbuch eher mager bestückt. Wir öffnen das Buch und lesen. Zunächst mal zwei Zitate aus Schillers Don Carlos, darunter das berühmte „Geben Sie Gedankenfreiheit“. Die Gedanken sind frei, totsicher nicht im Spanien dieser Zeit. Das Vorwort, spaßig, stimmt den Leser freundlich-neugierig und auch der Anfang ist durchaus noch spannend. Doch dann fehlt es ein wenig am Drive durch das Buch. Das mit der sensiblen Charakterzeichnung trifft vollständig zu. Selten habe ich so sorgsam beobachtete Menschenschilderungen gefunden, nur – das erschließt sich mir als Erwachsener, die Andeutungen, die zarten Hinweise auf körperliches Geschehen, wenn man liebt. Dass eine Frau Milchfluss hat, nachdem sie geboren hat, weiß der junge Leser vielleicht, doch Juana ist in Spanien, ihr Kind in Portugal, das kriegen die Jugendlichen sicher nicht zusammen. Die Andeutungen sind sehr zart, oft so zart, dass die jungen Leser damit überfordert sind. Nicht, dass man immer mit dem Holzhammer draufhauen muss, aber die Zielgruppe des Buches sind eindeutig die Älteren.
Die Kapitel sind kurz, was dazu führt, dass der Leser sehr rasch zwischen den einzelnen Erzählsträngen springt. Was normalerweise zu gesteigerter Spannung führt, wird manches Mal überreizt, gern würde man erstmal einen Faden noch weiterverfolgen und nicht schon wieder unterbrochen werden.
Sprachlich sehr feinsinnig, wenngleich das Glossar hinten, das hervorragend ist, unbedingt vorne im Vorwort hätte erwähnt werden müssen, wer schaut schon hinten ins Buch?? Oder liest das Inhaltsverzeichnis? Ich kenne keinen, das Buch wird aufgeklappt und gierig rast man in die Texte, das Inhaltsverzeichnis dient dem Leser kaum und so geht das Glossar unter, was schade ist, denn Begriffe wie Autodafé sind dem Jugendlichen nicht geläufig.
Ludwig gelingt es trotz obiger Kritikpunkte, die wie immer subjektiv sind, ein anschauliches Bild des spanischen Königshofes zu zeichnen, die verrückte Königin, ein Herrscher, der eine winkende Statue ins Fenster hält, um seine Untertanen zu zähmen, den Thronfolger, der sich unglücklich verliebt und die Grausamkeit, mit der Ketzer behandelt werden, verbrannt, gefoltert, bloßgestellt, gebrandmarkt.
Mariluz, Zigeunerin, Rodrigo, Page, Carlos, Infant – sie alle verbindet auf fast magische Weise die Liebe, Hunde und Pferde. Daraus entwickeln sich Fäden, Erzählstränge, Lebensverbindungen, Herzensstricke, die gewaltsam vom Leben durchtrennt werden und doch dauerhaft sind. Ludwig schildert das Leben des Infanten ebenso genau wie das Leben der Zigeuner und das der heimlichen Ketzer. Der Leser blickt überall hinein, darf mit Carlos fiebern und begreift – in dieser Zeit ist schon eine an sich harmlose Sache, ein Blick, ein Wort, ein Lied lebensgefährlich. Wer die Macht hat, darf alles und wer sich gegen diese Macht stellt, hat verloren. Und zwar alles, in erster Linie sogar das Leben.
Wer sich in die Zeit einlesen will und älter ist, kommt mit dem Buch klar, jüngere Leser werden verwirrt durch die schnellen Schnitte und die zu zarten Andeutungen. Sehr sorgsam gearbeitet hat Christa Ludwig, aber wir haben zu dritt gelesen und waren uns einig – die Figuren waren eindrücklich gemalt, blieben am Ende aber blass. Extralob allerdings gab es redaktionsintern für das Titelbild, das großartig ist. Vielleicht beim nächsten Buch ein wenig mehr Zeit lassen, längeren Atem geben. Die Leser werden es danken, die seit „Daphnes Fohlen“ Fans sind!
csc

No body is perfect

Carolyn Mackler. Die Erde, mein Hintern und andere dicke runde Sachen. Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit. 256 Seiten, kartoniert. 13,– Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-58132-0.

nach oben Virginia ist nicht mollig. Sie ist dick. Und das fällt auf in ihrer Familie, in der alle schlank und schön, vor allem aber erfolgreich und angesehen sind. Aber Virginia ist ödlangweilig blond, trägt XXL-Wallesäcke, ihre beste Freundin ist für eine Weile weggezogen, in der Schule hat sie einen schweren Stand und geküsst wird sie wortlos von Froggy IV, der nach dem Küssen seine Posaune packt und zum Unterricht schlappt. Alles Scheiße deine Elli.
Soweit also alles normal. Wir fetzen mit Virginia durch ihre Welt, sehen alles mit ihrer Brille und werfen uns weg vor Lachen, wenn wir nicht still und leise eine Träne verdrücken. Die Schulzeit wacht wieder auf in uns und mit ihr die ganzen Albträume dieser Zeit. Auch Virginia erlebt das und sie spürt, dass ihre Familie ein seltsamer Haufen ist. Die Mutter therapiert erfolgreich durchgeknallte Kiddis anderer Eltern, hat aber keinen Schimmer, was in ihrer eigenen Tochter vorgeht, Daddy ist nur unterwegs und am Wochenende ist Virginia allein daheim, schließlich ist Golfzeit oder sonstwas angesagt im Hause Shreves. Bruderherz Byron ist ein echter Held, er studiert an einer Eliteuni und Schwester Anais, ein wenig abgedriftet, aber durchaus vorzeigbar, hat sich eine Auszeit im Friedenskorps genommen.
Virginia fühlt sich nicht wohl in ihrer Haut, denn sie möchte auch schön schlank sein, so, wie die angesagten Mädels der Schule. Auf dem Schulklo belauscht sie das Gespräch dreier angesagter Tussen, die erklären, sie würden sich umbringen, wenn sie wie Virginia aussähen. Kurz darauf kommen vergleichbare Andeutungen von Virginias Vater, der ihr einen Spiegel kauft, die Mutter schleppt sie zu einem Arzt. Von allen Seiten bedrängt, entschließt sich Virginia zur Radikalkur, doch ihre Welt und damit auch ihr Diätvorhaben brechen an einem Tag komplett zusammen. Bryon, der Held, hat eine Kommilitonin vergewaltigt und das Haus Shreves übt sich im Umgang mit diesem Ereignis. Virginia reagiert wie üblich – Rückzug und fressen.
Es muss viel passieren, bis Virginia eines Tages aufsteht und „Nein“ signalisiert. Nein, dass andere Menschen ihr ein Schönheitsideal aufdrücken, das nicht das Ihre ist. Nein zu Lüge, nein zum Schweigen, zum Vertuschen, zum Bravsein, zum unauffälligen Sackkleid, zur artigen Frisur, zum ganzen bisherigen Leben. Ein Flugticket nach Seattle zu ihrer besten Freundin Shannon rettet Virginias Leben. Dort im Kreis von Shans verrückter Sippe kann Virginia den häuslichen Horror vergessen. Dort pierct sie sich die Augenbraue und beginnt, sich selbst anzunehmen. Als sie nach Hause zurückkommt, gilt es, das neue Lebensgefühl auch in den Alltag zu retten, der sich natürlich keinen Deut verbessert hat. Es ist ein weiter Weg, aber niemand hat behauptet, der Weg zu sich selbst sei kurz und nett.
Es ist ein wunderbares Buch, was Carolyn Mackler geschrieben hat. Sie schildert sehr gut, was Menschen fühlen, die nicht der Norm entsprechen. Sie berichtet von den Gefühlen bei Diäten, vom Kampf und von der Tatsache, dass Essen oft genug nur benutzt wird, weil so viele andere Defizite vorliegen. Ungeschminkt, offen, tieftraurig, zum Wegschreien komisch – alles findet sich in diesem Buch, das nicht nur dicken, sondern gerade auch den ganz dürren Mädchen an die Hand gegeben werden darf. Und alle anderen haben vielleicht die Chance, mal reinzuschauen in die Denkstruktur anderer, die schon beim Anblick von Mineralwasser aufschwemmen wie Hefeteig.
csc

Wunderwelt Kinderstube

Anne Möller: Nester bauen, Höhlen knabbern. Wie Insekten für ihre Kinder sorgen. 28 Seiten, gebunden, farbig illustriert. 14,90 Euro. Atlantis Verlag. ISBN 3-7152-0486-9.

nach oben Nester bauen, Höhlen knabbern Wer die Welt im Kleinen erkennen kann, wird später auch reif sein für das Große. Insekten sind wahre Künstler, wenn es darum geht, die Nachkommen zu schützen, damit sie sich in Ruhe entwickeln können. Viele Kinder haben schon einmal ein Wespennest gesehen oder einen Bienenkasten, doch wie sieht es mit den vielen kleinen Wunderwerken direkt vor der Haustür aus – wer weiß, wie ein Rüsselkäfer arbeitet, ein Pillendreher oder Bienen?
Anne Möller hat die Augen aufgemacht und hingeschaut auf die kleinen Nestchen, die Höhlen und die wunderbaren Bauwerke, die fleißige Eltern für ihren Nachwuchs errichten, um ihn zu schützen. Insekten sind großartige Eltern und was sie leisten, sieht man erst anhand dieses Buches, das neugierig darauf macht, das alles auch im Garten, im Wald, an Mauern zu entdecken.
Kinder, die oft im Spiel sehr genau beobachten, fragen oft: Wie geht das? Wir Erwachsene stehen dann da, leicht nervös, ziehen Lexika und Naturführer heran und erschlagen den Nachwuchs mit angelesenem Fachwissen, gespickt mit Ausdrücken wie „Larvenstadium“ und anderem Unsinn, mit dem unsere Kinder vollkommen überfordert sind. Anne Möller hat es ganz anders gemacht – sie hat hingeschaut und entdeckt. Und das, was sie dabei herausgefunden hat, hat sie aufgemalt. Ganz gemütlich und langsam kann man nun beobachten, wie der Rüsselkäfer das Blatt rollt, man spürt förmlich, wie sich das kleine Tierchen plagen muss, um es dem Nachwuchs schön zu machen. Die Texte sind absolut verständlich und weil es eben „Schritt für Schritt“ geht, ist es ein Lehrbuch der bezaubernden Art – sorgsam gezeichnet, unverschnörkelt erzählt und mit einer immensen Achtung vor diesen Wunderwerken, die wir Tag für Tag problemlos übersehen.
Das Augenmerk hat Anne Möller nicht auf die Tiere gelegt, die man allgemein kennt wie Bienen und Ameisen. Ihr Blick richtet sich auf die einzeln lebenden Insekten, deren Nachwuchs permanent durch hungrige Vögel, Spinnen und andere Larvenfreunde gefährdet ist. Die Bilder sind sorgsamst gemalt. Man steht staunend davor, wenn man einmal sieht, wie sorgsam ein Pillendreher sein Ei in die aus Mist geformte Birne hängt wie einen Leuchter an die Decke. Löchrige Rosenblätter wird man neu sehen und sich denken „ah, da war eine Blattschneidebiene am Werk“ und so vielleicht auf das Gift verzichten.
Ein Bilderbuch für kleine und große Forscher, die nur bis vor die eigene Haustür reisen müssen, um eine Wunderwelt zu entdecken. Nur was man kennt, kann man auch sehen – das Buch ist eine Einladung für alle, im Mikrokosmos den Makrokosmos zu finden.
csc

Verblüffendes Sammelsurium

Matthew Morgan/Samantah Barnes: Der kleine Moses. Alles, was du niemals brauchen wirst, aber unbedingt wissen solltest! 128 Seiten, mit Illustrationen von Niki Catlow, aus dem Englischen von Andrea Fischer. 9,95 Euro. Verlag moses. ISBN 3-89777-279-5.

nach oben Der kleine Moses Es ist eminent wichtig, dass man weiß, wie man sich rettet, falls einem mal ein Krokodil anfällt oder ein Hai. Von wegen eins auf die Nase hauen – nö, nehmt die Kiemen, die sind schmerzempfindlicher! Das sind nur zwei der Infos, die der kleine Moses bietet und wer jetzt nicht gerade den Kontakt zu Haien und Krokos sucht, findet in diesem Buch ein Kaleidoskop an Informationen zu allen nur denkbaren Themen – verrückte Monarchen, vom Aussterben bedrohte Tierarten, Merksprüche, Zungenbrecher, Skatertricks, Fachausdrücke, Geheimsprachen, Erfindungen und und und. Der kleine Moses gehört in jede Tasche und alle Wartelangeweile hat sofort ein Ende. Zudem ist man bestens für Quizshows gerüstet und steht bei Fragen nach: Was ist ein Altokumulus nicht blöd da, sondern weiß gleich: mittelhohe Wolke, Feld oder Bank aus Schäfchenwolken. Wenn das nicht die Entscheidung bei der Millionenfrage bringt! Wetten, dass die Fragenschreiber den kleinen Moses auf ihrem Schreibtisch haben?
Gebratene Heuschrecken in Sesamöl sind eine chinesische Spezialität, Border Collies sind superschlau, Aphrodite heißt in Rom Venus, eine Kuh melken ist jetzt locker machbar, der Blauwal ist das größte Tier, die Libelle mit 57 km/h das schnellste Insekt, Knete wurde 1900 erfunden, das Tamagotchi 1996 und wünschen darf man sich was, wenn drei Vögel auf einem Telegrafendraht sitzen. Polarlicht, richtiges Verhalten beim Stromschlag, supergute Begründungen, wieso man zu spät kommt oder keine Hausaufgaben hat, werden ebenso geliefert wie die Unterschiede zwischen Hunde- und Katzensprache, damit es auch daheim keine Sprachbarrieren mehr gibt. Was ein Herpetologe studiert, wird man nach der Lektüre ebenso wissen wie die Erklärung, was um Himmels Willen denn Oneiromantie bedeutet. Bananen sind übrigens die beliebteste Frucht der Welt und die Übersetzung der Elternsprache dürfte so manchem die Augen öffnen: „Wir lieben dich sehr“ bedeutet durchaus auch: „Sorge bitte für uns, wenn wir alt und gaga sind“. Lesespaß pur, Infotainment at it's best! Da capo!!!
csc

Meerjungfrauen haben keine Beine

Mirjam Mous: ich wollte es wäre gestern. Aus dem Niederländischen von Sonja Fiedler-Tresp. 155 Seiten. 9,90 Euro. Erika Klopp Verlag. ISBN 3-7817-1353-9.

nach oben Das Delfinarium in ihrer Stadt wird zur wichtigsten Station im Leben von Marit. Scheiben schrubben erscheint ihr als bessere Alternative als nichts zu tun, denn was soll man schon ohne die beste Freundin Sabien anfangen, die bei ihrer Oma zu Besuch sein muss und dort nicht mal permanent die Haare umfärben kann wie sonst?
In einem Buch, das Marit ihrem Vater zum Geburtstag schenkt, bekommt der sensible Mann, der am liebsten Meerjungfrauen malt, DIE Meerjungfrauengeschichte überhaupt – die berühmte, bei der die kleine Meerjungfrau alles gibt, um dem geliebten Jüngling nahe zu sein. Und so begleitet die Geschichte Stück für Stück den Leser durch das Buch.
Im Delfinarium begegnet Marit Nathan und ist platt – das ist er, der Mann ihrer Träume. Nathan. Nathan arbeitet im Delfinarium und erstaunlicherweise bekommt Marit Anschluss an die Clique der jungen Menschen, die dort beschäftigt sind. So folgt sie einer Einladung zu einer Party, nicht ahnend, dass dieser Abend ihr Leben verändern wird.
Marit, von kleiner Statur, verliert auf der Party einen Absatz und Nathan, der ebenso wie Marit mehr getrunken hat als ihm gut tut, schlägt vor, sie mit dem Roller nach Hause zu bringen. Marit stimmt zu und danach ist ein Loch in der Erinnerung. Nathan und sie auf dem Roller und danach ein krasser Schnitt. Klinikatmosphäre, die Weigerung, aufzuwachen, dann die Erkenntnis: Ich bin gelähmt, ich werde nie mehr wieder laufen können, aus den Beinen ist ein Fischschwanz geworden, nur hilft der einem an Land nicht wirklich weiter.
Marit muss lernen, die Wahrheit zu akzeptieren und dabei hilft ihr Iris. DIE Iris, die Nathan großartig findet. Die zu ihm ideal passt. Und genau die, die ihr den Mann des Lebens wegschnappt, die hilft Marit am meisten mit ihrer Art, das Leben anzupacken.
Armzug um Armzug rollt sich Marit in ihr neues Leben, sie schafft es, ihre Situation zu akzeptieren und Nathan zu verzeihen, denn letztlich ausgelöst hat den Unfall nicht Nathan. Es war der blöde Absatz, der in die Speichen des Rollers geraten war.
Das Buch erzählt aus Marits Sicht, der Leser denkt ihre Gedanken, spürt ihre Bitterkeit, die Verzweiflung, aber auch den roten Faden – so wenig wie die kleine Meerjungfrau je stirbt und vergessen wird, wird Marit sterben. Sie wird es schaffen und das neue Leben wird ganz anders sein als geplant, aber es wird ein Leben sein.
Sensibel und ruhig erzählt, kräftige Bilder und trotz allem Schrecklichen – das Leben ist lebens-wert.
csc

Sabriel und die Alte Magie

Garth Nix: Sabriel. Aus dem Englischen von Lore Strassl. gebunden, 384 Seiten. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-58128-2.

nach oben Sabriel ist gerade mit der Schule fertig. Sie lebt außerhalb des Alten Königreichs und bekam all die Jahre ihrer Schulzeit regelmäßig Besuch von ihrem Vater, dem Magier Abhorsen. Ihr Vater lebt im Alten Reich, in dem freie Magie herrscht und das von Toten heimgesucht wird, die nicht im Reich des Todes verweilen, sondern als eine Art böser Geister durch die Welt irren, bis der Magier Abhorsen sie von ihrem schweren Schicksal erlöst und mit Hilfe der Magie in das Totenreich schicken kann. Sabriel kehrt zum ersten Mal seit ihrer frühen Kindheit ins Alte Königreich zurück, und obwohl sie in Magie nicht ungeübt ist und ihr Vater bei seinen Besuchen sehr viel von seinem Wissen an seine Tochter weiter gegeben hat, schafft sie es nur mit großer Mühe, in das Haus ihres Vaters zu gelangen. Dort lernt sie Mogget kennen, äußerlich eine Katze, innerlich aber ein Geschöpf stärkster alter Magie. Gemeinsam mit Mogget macht sich Sabriel auf die Suche nach Abhorsen und erlebt harte Kämpfe, lernt aber auch Touchstone, einen Gefährten, kennen und lieben. Gemeinsam bewältigen sie die fast unlösbaren Aufgaben in einer Welt, in der die böse Macht beinahe die Überhand gewinnt.
Im Gegensatz zu Cornelia Funke, die über das Buch schrieb: „Es gibt Bücher, bei denen man schon auf der ersten Seite spürt, dass sie einen in eine Welt locken, die man nie vergessen wird“ und mit dem Imperativ „Lesen!“ ihr Urteil abschließt, empfinde ich das Buch für manchen jungen Leser eher als bedrückend. Die Vorstellung, nicht ganz Tote, die als Unwesen herumirren, in den Tod hinein zu erlösen und das im jungen Alter, nur weil Sabriel die Tochter des Magiers ist, mag nicht jedem gefallen. Dass böse Wesen auch böse handeln, ist kein Problem, dass Sabriel Hilfe durch Freunde und sogar Liebe findet, ist erfreulich, spannend ist es auch geschrieben, aber letztlich blieb bei mir doch das Gefühl zurück, das auch der Umschlag vermittelt – es ist etwas Düsteres, Bedrohliches darin, auch wenn es gut ausgeht.
csc

I’ve got the blues

Han Nolan: Born blue. Aus dem amerikanischen Englisch von Salah Naoura. 256 Seiten, kartoniert. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-58118-5.

nach oben Janie hat eine drogensüchtige Mutter und einen unbekannten Vater. Sie landet in einer Pflegefamilie, in der alles Schrott ist bis auf Harmon. Harmon ist ein schwarzes Pflegekind, der das Glück hat, in eine stabile und wohlhabende Familie adoptiert zu werden, während Janie von ihrer Mutter entführt und für Drogen verschachert wird. Sie schlägt sich so durch und ihr Leitstern ist die Musik der Ladies, die Grandes Dames des Solu, Blues und Jazz. Janie kann singen – wie ihre Vorbilder. Wenn sie singt, stürzt der Himmel ein. Sie lebt nur für diese Musik und wird einzig von dem Wunsch getrieben, zu singen. Dass sie nebenher noch leben soll, ist etwas, das sie zutiefst verwirrt. Sie kann sich nicht in eine Gemeinschaft einfügen, sie kennt weder Liebe noch Respekt, Achtung vor dem Eigentum anderer, gar nichts. Sie wirft Drogen ein, wird im Drogenrausch sofort schwanger und schiebt das Baby Harmon unter, den sie als Kindsvater hinstellt, was er freilich gar nicht ist. Harmon nimmt das Erbe Janies, die sich inzwischen Leshaya nach der toten Tochter ihrer Sozialarbeiterin nennt, an – Janies Tochter Etta wird auch noch in die Familie aufgenommen. Während Harmon es schafft, sein Leben in den Griff zu kriegen und zu einem netten jungen Mann heranwächst, lebt Janie zwischen Drogensüchtigen, Dealern, durchgeknallten Musikern und abgedrehten Typen mehr oder minder auf der Straße, was man ihr ansieht und anhört. Erst die Begegnung mit Paul bringt sie ein Stück weiter, der ihr Drogen verbietet und ihr zeigt, dass Musik eine ernsthafte Sache ist. Als sie wieder Drogen nimmt und Pauls bester Freund dabei mit draufgeht, wirft Paul sie aus der Wohnung. Janie landet bei ihrer Mutter, die gerade vor sich hinstirbt, die Drogensüchtige hat Aids im Endstadium. Janie bleibt bei ihrer Mutter bis zu deren Tod und schafft es, wieder von den Drogen herunterzukommen. Als sie Etta aus Harmons Familie entführen möchte, sieht sie, wie glücklich ihre kleine Tochter ist und sie fällt eine Entscheidung.
Das Buch erzählt von einem Mädchen, das keine Heimat hat. Janie ist unerwünscht, herumgeschoben, es interessiert keinen, wie sie sich fühlt und die Liebe zur Musik ist auch nicht das, was in ihrer Welt Platz hat. Janie träumt von der großen Karriere, doch sie kann nicht realistisch rangehen, weil eben auch die Musik viel mit harter Arbeit zu tun hat, was Janie in ihrem Drogenrausch nicht wahrnimmt. Gute Anlagen, die sich nicht recht entfalten können – das trifft viele Menschen. Han Nolan erzählt die Geschichte aus Janies Sicht, benutzt ihre Sprache, die aus der Gosse kommt und zeichnet scharf den Gegensatz zwischen den Menschen, die auf der „normalen“ Seite des Lebens stehen und denen auf der anderen. Das Buch hat keinen guten Ausgang, es bleibt alles offen, Janie kann es schaffen, aber die Wahrscheinlichkeit ist gering. Es zeigt, dass Menschen, die nur enttäuscht werden, oft so labil sind, dass sie schon Kleinigkeiten aus der Bahn werfen.
Das Buch gibt einen Einblick in die Lebenswirklichkeit unerwünschter Kinder, die durch die Sucht ihrer Eltern von vornherein zu Opfern werden, ohne jemals eine realistische Chance nutzen zu können. Harmons Pflegeeltern, die sich redlich bemühen, bekommen von Janie keine Chance, sie haut lieber ab, anstatt sich ihren Problemen zu stellen und sich zu entwickeln.
Das Buch ist wie die Musik der Ladies. Kraftvoll, aber tief traurig und irgendwie deprimierend.
csc

Wie man das Richtige tut

Joyce Carol Oates: Mit offenen Augen. Die Geschichte der Freaky Green Eyes. Aus dem Amerikanischen von Birgitt Kollmann. 240 Seiten, gebunden. 16,40 Euro. Hanser Verlag. ISBN 3-446-20605-1.

nach oben Mit offenen Augen 15 Jahre alt ist Franky und sie ist die Tochter des berühmten Fernsehsportjournalisten Reid Pierson. Jeder kennt Reid Pierson! Es ist eine Ehre, seine Tochter zu sein und in einem Haus zu wohnen, das einen „öffentlichen“ Teil hat und einem, in dem die liebevolle Mutter Krista versucht, ihren Kindern, Franky, der kleinen Schwester und dem Sohn aus Reids erster Ehe, ein Heim zu schaffen. Krista ist eine warmherzige, künstlerisch veranlagte Frau, die eines Tages beschließt, sich aus dem Gefängnis ihrer Ehe in ein kleines Dorf zu retten, in dem sie ihre gestalterische Ader ausleben kann. Das ist, als hätte man ein Ehrenmal geschändet. Niemand verlässt Reid Pierson!
Franky, die sich auf einer Party das erste Mal in Freaky Green Eyes verwandelt hat, als ihr ein widerlicher Macker seine Annäherungsversuche aufgedrängt hat, spürt, dass ihre Mutter einen Grund gehabt hat, das Genie Reid Pierson zu verlassen, den alle einfach lieben müssen. Erinnerungsfetzen aus der Kindheit stranden in Frankys Kopf, doch die Wahrheit blockt sie mit der ganzen widerborstigen Kraft ihrer Jugend ab.
Eines Tages erlaubt Reid den Töchtern, die Mutter zu besuchen. Er zerrt sie kurze Zeit darauf unangemeldet in sein Auto und seine Töchter werden ihre Mutter nie mehr lebend sehen. Kristy und der Galerist des Künstlerdorfes sind verschwunden – durchgebrannt, sagt Reid und leidet im Fernsehen unsagbar, die ganze Nation leidet mit ihm.
Nach und nach wachsen in Franky immer größere Zweifel hoch und eines Tages haut sie ab, ins Dorf, und findet dort an einem Versteck das Tagebuch ihrer Mutter. Es ist der Bericht einer wahren Verfolgung. Gewalt und Brutalität werden dort schonungslos geschildert und der Schutzschild, den die geprügelte und misshandelte Franky seit ihrer Kindheit um sich herum aufgebaut hat, zerbricht. Das junge Mädchen findet die Kraft, das Idol der amerikanischen Nation zu stürzen.
Es ist ein Buch voller zauberhafter Momente, aber auch ein Buch, in dem zwischen den Zeilen die Gewalt hervorgrinst, jederzeit bereit, einen zu packen. Es liest sich leicht und dennoch schleicht sich latent so eine Angst beim Lesen ein, ein Gefühl, dass etwas nicht stimmt, ohne genau sagen zu können, was denn eigentlich nicht passt. Bis die Bombe platzt und man schreien möchte. Schreien, wie die Tausende von Kindern, die in unserer Gesellschaft mit so einem Schutzschild herumlaufen müssen, weil Erwachsene ihnen Gewalt antun. Oates’ Text zeigt aber auch, wie problematisch es ist, diesen Schutzschild wieder zu zerbrechen und gegen einen Menschen auszusagen, der außer der kleinen Schwester und einer Tante der einzige auf der Welt ist, den man liebt. Auch wenn man ihn hasst. Das Richtige tun und dabei gegen seine inneren Gefühle handeln, ist eben oft mehr, als man aushalten kann.
csc

Pinkeln für Große

Manuela Olten: Muss mal Pipi. 32 Seiten mit bunten Bildern, gebunden. 14,– Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-51652-9.

nach oben Muss mal Pipi Es ist gar keine so leichte Sache, das mit dem Pipimachen! Und erst recht nicht, wenn man ein kleiner Junge ist. Liebe Güte, was muss man da alles für Regeln beachten! Ehrlich, es fällt einem erstmal auf, wie umständlich diese Sache eigentlich ist, wenn man das Buch gelesen und sich weggeschmissen hat vor Lachen. Daheim wird anders gepinkelt als im Kaufhaus, kleine Geschäfte unterscheiden sich deutlich von großen, Mädchen haben andere Sorgen und im Schwimmbad wird fast gar nicht gepinkelt, oder doch? Und – wieviel Pipi passt in einen handelsüblichen Badeschwamm? Ach, das wissen Sie nicht? Schade. Die Antwort ist in Manuela Oltens herrlichem Bilderbuch zu finden und das ist Pflicht für alle Bubenmamas und -papas. Gemeinsames Lesen und Anschauen der Bilder hilft Klein und Groß beim Durchblick und zeigt – das Thema ist ne ernste Sache, aber trotz aller Sachzwänge doch auch sehr spaßig, vor allem aus Sicht kleiner lästiger Schwestern mit Rattenschwänzen und ätschbätsch-Freude.
Monika Olten hat die wesentlichen Lebenslagen in fröhlichen Bildern umgesetzt: Daheim, beim Arzt, im Kaufhaus, Buben-Mädchen, im Schwimmbad, klein und groß und – ich kann alleine aufs Klo gehen! Mehr braucht man nicht im Leben, um überall was zurücklassen zu können. Und wie problematisch sich das Pipimachen von dem Tag an gestaltet, da die Windel unwiderruflich abgelegt wurde, sieht man erst in aller Deutlichkeit beim Lesen. Da werden versiffte Klos bakteriensicher ausgepolstert, da gibt es Unterschiede, wo man im Stehen und wo im Sitzen pinkelt, wo man darf (auf dem Klo) und wo nicht (beim Essen, im Schwimmbad), wo es generell geht (überall) und wie man mit Klos umgeht, die sich selbst reinigen, denn da darf man auf die Brille klettern ohne zwei Lagen knisternd-rutschiges Klopapier, das in dem Moment den Abgang macht, indem das Hinterteil die Brille berührt. Jaja. Der kleine Held im Pinkelbuch ist ein niedlicher Junge, der mit der ganzen Problematik locker umgeht, aber gecheckt hat – Junge, reiß dich zusammen. Da kannste jede Menge böser Fehler machen! Seine kleine Schwester begleitet ihn bei diversen Experimenten und neigt wie alle Geschwister zu Petz- und Ätschverhalten, bloß weil sie es sich erlauben kann, ha, sie sitzt ja immer beim Pinkeln und kann kein bisschen mitreden bei diesen wichtigen Fragen. Es ist auch nicht so einfach zu begreifen, wieso man daheim im Sitzen, im Kaufhaus im Stehen und bei Pissoirs irgendwie gar nicht als kleiner Junge pinkeln muss und weshalb das im Kaufhaus auch noch was kostet, wo es doch nicht sauber ist! Und dass man mit Mamas aufs Mädchenklo muss, wo lauter Frauen pinkeln, kränkt auch den Stolz des kleinsten Jungen! Schon bedacht, Mamas? Eben! Da geht man doch supergern zum Doc, der hat ein Selbstputzklo. Nachteil – wenn man sich draufsetzt, wird der Popo nass, aber sonst ist das ne geniale Lösung!
Die Krönung ist die Story, als der kleine Held allein aufs Männerklo stapft. Und er macht es exakt so, wie es ihm Mama beigebracht hat. Bei Verdacht eines unsauberen Klos gibt es nur eine Lösung: massenhaft Klopapier auf den Rand und drauf! Bloß – im Männerklo hängen die Klos an der Wand, das ist ganz blöd, so weit oben. Bis man den Papierkorb rangeschleppt, das Klopapier drapiert und gepinkelt hat, das ist echt anstrengend und überhaupt komisch. Klar, das weiß die Mama eben nicht, die geht ja nie aufs Männerklo. Hach, wie ist der Held stolz, als er es geschafft hat, mit viel Mühe auf dem Pissoir zu sitzen! Dass kann vor lauter Stolz das Händewaschen vergisst, passiert. Übung macht den Meister. Das Buch ist ein absolutes Muss für alle, die Jungen im Pipialter haben (von 1-x also). Für die Anfänger ist es lehrreich und für die Fortgeschrittenen zum Wegwerfen komisch. Für Mütter ist es eine Lektion: Weniger ist mehr. Man wünscht allen kleinen Buben Pissoirs in Kindergröße. Gibt es das schon? Wäre dringend nötig, fällt mir so auf! Unbedingt anschaffen für jeden kleinen Pinkler! Und bitte – nehmen Sie NIE mehr einen Badeschwamm unbedarft in die Hand. Ehrlich. Sie werden es nicht bereuen.
csc

Gigantische Entdeckungen

Kenneth Oppel: Wolkenpanther. 550 Seiten, geb. 16,90 Euro. Beltz&Gelberg Verlag. ISBN 3-407-80941-7.

nach oben Matt ist nicht nur auf einem Luftschiff geboren, sondern offensichtlich für das Fliegen überhaupt. „Er ist leichter als Luft“, sagen seine Kollegen über den vierzehnjährigen Kabinensteward, der so sehr im Himmel zu Hause ist, dass er es auf festem Boden kaum aushalten kann. Matts Traum ist es, einmal Segelmacher zu werden wie sein verunglückter Vater, dem er sich fliegend nahe fühlt. Eines Tages kann Matt seinen Mut und seine Leichtigkeit einsetzen, um einen havarierten Heißluftballon zu bergen, dessen Führer wirres Zeug redet und schließlich stirbt. Erst ein Jahr später klärt sich auf, was dieser Benjamin Molloy suchte, als dessen Enkelin Kate auf seinen Spuren als reiche Passagierin auf die „Aurora“ kommt: die Wolkenpanther, fliegende große, noch unentdeckte Raubtiere. Die muntere Kate versteht es, sich über die Etikette und ihre Gesellschafterin hinwegzusetzen, um ihre Forschungsarbeit voranzutreiben und auch Matt ignoriert die Bordordung, damit er mit ihr zusammen sein kann. Als das Luftschiff nach der Enterung durch Piraten auf einer Insel notlanden muss, erkundet sie mit Matts Begleitung die Umgebung, was zu einem lebensgefährlichen Abenteuer wird, vor allem als sie das auf Nest der Piraten stossen. Nur mit einem schlauen Plan, durch Matts Vertrautheit mit der Aurora und durch ihren vollen Einsatz können sie in letzter Minute entkommen.
Zwischen Matt und Kate wächst eine zuerst noch kindliche Freundschaft, die sie immer stärker verbindet, je mehr sie gemeinsam durchstehen. Die ungewöhnliche Umgebung, Matts Empfindungen und die reich gestreuten und verquickten Abenteuerelemente machen das Buch superspannend. Es ist so schön dick, dass es für ein paar schlaflose Nächte reichen dürfte.
Ulrike Schmoller

Mit dem Zeitstrahl in die Zukunft

Gary Paulsen: Das blaue Licht. Aus dem Amerikanischen von Cornelia Stoll. 256 Seiten, kartoniert. 6,90 Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-35439-1.

nach oben Mark hat es endlich geschafft und seinen Eltern eine Wanderung durch die Wüste aus dem Kreuz geleiert. Er darf alleine losziehen und probieren, ob seine Vorbereitungen auch ausreichend sind. Alles klappt prima, bis er eines Abends einen blauen Strahl sieht, der wie ein Scheinwerfer auf den Boden gerichtet ist. Mark hält den Strahl für ein Air-Force-Experiment und tritt näher. Der Strahl erfasst ihn und als Mark das Bewusstsein wiedererlangt, ist er in einer vollkommen fremden Welt.
Zunächst begreift Mark nicht, wo er ist. Er muss sich in einem Urwald zurechtfinden, in dem das Gras rot ist, die Tiere seltsam und gefährlich und er ist ein moderner Junge des 21. Jahrhunderts, aber kein bisschen auf so eine Situation vorbereitet. Mark kämpft sich durch, ehe er Menschen entdeckt. Marks Freude, endlich wieder Menschen zu sehen, ist allerdings von kurzer Dauer. Der Junge wird als Sklave verschleppt und es dauert lange, bis er sich zu einem Vollmitglied der Gesellschaft entwickelt hat. Mark ist anders als die Menschen seiner Umgebung, schon sein Aussehen hebt ihn ab. Das spricht sich herum und eines Tages macht er die Bekanntschaft eines Wesens mit einer Maske. Dass das ebenfalls ein Mensch ist, der über den Zeitstrahl, denn nichts anderes war das blaue Licht, in diese Welt kam, erfährt Mark erst nach und nach. Für den Maskierten ist Mark eine reale Bedrohnung, denn ein weiterer Mensch aus dem 21. Jahrhundert könnte seine Herrscherstellung gefährden. Mark macht einen Greis ausfindig, der der Träger der Informationen ist – Wissen, durch unzählige Generationen tradiert, was einst auf der Erde geschah: Eine Art Ebolavirus hat die Menschheit nahezu ausgerottet. Irre zünden Atomwaffen und legen die Welt in Schutt und Asche. Nur wenige Menschen überleben diesen globalen Horror. Mark ist in der Zukunft gelandet. Dort hat er sich zurechtgefunden, steht vor der Heirat und muss sich entscheiden – kehrt er mit dem Zeitstrahl wieder in seine alte Welt zurück oder bleibt er in der Welt, die er nun gut genug kennt? Um sein Dorf zu retten, führt er den Sohn des Maskenmenschen auf seine Fährte. Er hat keine Chance, den Jägern zu entkommen. In dem Moment, in dem ihn ein Pfeil in den Arm trifft, erscheint das blaue Licht und holt ihn in seine alte Welt zurück.
Dann erfolgt ein sehr heftiger Cut. Zeitsprung, vielleicht 20 Jahre später. Aus Mark ist ein besessener Forscher geworden, der sich mit dem Ebolavirus beschäftigt. Auf diesen Sprung hätte man ganz gut verzichten können.
Das Buch schildert anschaulich, wie sich der moderne Mensch Mark in einer Welt zurechtfindet, die urzeitlich anmutet. Erstaunlich ist Marks Gedächtnis, der sich daran erinnert, wie man Schwarzpulver herstellt und das nutzt, um seine Verfolger zu erschrecken, ich denke, dass das nicht wirklich funktionieren würde. Alles andere aber ist nachvollziehbar und spannend erzählt. Vermutlich werden die männlichen jungen Leser ab 12 Jahren froh sein, mal ein packendes Buch in die Finger zu bekommen!
csc

Manchmal erwächst aus Enttäuschung Freude

Isbel Pin: Die Königin der Blumen. Deutsche Textbearbeitung von Bruno Hächler. gebunden, 24 Seiten. Michael Neugebauer Verlag. ISBN 3-85195-716-4.

nach oben Catherine wäre so gern eine Königin beim Karneval, aber Mama findet, dass sie eine wunderbare Biene ist! Also macht sich Mama daran, für Catherine ein Kostüm zu stricken, die ganze Familie hilft mit, um aus Catherine eine Biene zu machen. Als der große Tag da ist, schleicht sich Catherine bedrückt ins Klassenzimmer. Wie befürchtet, ist ein Bienenkostüm nicht das, was in der Klasse gerade besonders gut ankommt und aus Catherine wird eine Cathebiene, der Ruf scheppert dem kleinen Mädchen schmerzhaft in den Ohren und es hilft nur die Flucht in den Garten. Dort vernimmt das traurige Mädchen leise Stimmen, die ihr Kostüm bewundern und nun lernt Catherine eine ganz neue Sicht auf ihr Kostüm kennen. Mit einem Mal kann sich Catherine annehmen und erkennt, dass sie wirklich die allerschönste Biene ist. Diese Erkenntnis bleibt der Klasse nicht verborgen – Catherine ist nun nämlich auch eine Königin, eine Bienenkönigin!
Eine Erfahrung, die Kinder häufiger machen, wird hier sensibel erzählt. Die Bilder sind in einem ganz eigenen Stil gehalten, die Farben der Bilder passen sich der jeweiligen Stimmung an, von der erzählt wird, was dazu führt, dass die traurige Catherine in einer düsteren, bedrückenden grauen Landschaft sitzt, aber orangefroh glüht, als sich aus Blüten eine Krone formt. Catherines Gefühle werden in den Farben und leeren Flächen gespiegelt, aber die Bildsprache ist fast ein wenig zu mächtig für die zarten Worte.
csc

Vom Umgang mit dem Unaussprechlichen

Mirjam Pressler: Die Zeit der schlafenden Hunde. 272 Seiten, kartoniert. 6,90 Euro. Verlag Beltz&Gelberg. ISBN 3-407-78689-1.

nach oben Johanna ist ein Kind aus gutsituiertem Haus. Ihre Eltern betreiben das größte Modehaus der Stadt, sie lebt wohlbehütet und muss keinerlei Mangel leiden, höchstens den an Elternzeot. Auf einer Klassenfahrt nach Israel endet die bislang relativ glückliche Kindheit Johannas. Sie erfährt im Gespräch mit jüdischen Frauen, die ihre Schule in ihrer Jugend besucht und den Völkermord überlebt haben, dass ihr Großvater ein „alter Nazi“ war. Mit einem Schlag muss Johanna aufwachen. Der Großvater ein Nazi? Am nächsten Tag trifft sie sich mit der Frau, die diesen Satz ausgestoßen hat, und sie erfährt, dass das Modehaus von ihrem Opa zum Spottpreis erworben wurde, dass sich der Reichtum der Familie auf dem Unglück anderer gründet.
Wieder daheim, macht sich Johanna auf Spurensuche. War ihr Großvater ein Nazi? Ist das Modehaus wirklich „unrecht Gut“, das nicht gedeihen kann? Wieso hat sich die Großmutter umgebracht? Weshalb erhängt sich der Großvater und der Vater kommentiert es mit „lichtem Moment“?
Je intensiver Johanna forscht und ihr ganzes Leben in Frage stellt, desto heftiger werden die Spannungen zwischen ihr und ihrem Vater, der mit seiner Frau sein Leben in den Dienst des Geschäfts gestellt hat und von den „alten Geschichten“ nichts mehr wissen will. Ihn interessiert es nicht, weshalb sich seine Mutter und sein Vater umgebracht haben, er will damit am besten nichts zu tun haben, dafür steht er nicht jeden Tag im Laden.
Johanna bekommt vieles aus der Familiengeschichte heraus und sie merkt – so einfach lässt sich das Vergangene nicht aufteilen in schwarz und weiß, in gut und böse, in „die Verfolgten“ und „die Nazis“. Schuld und die Frage, wie man mit ihr umgeht, treibt Johanna um, bringt sie an ihre Grenzen, lässt sie mutig ihren Vater angreifen, um die Schale zu sprengen, die er zu seinem Schutz um sich herum aufgebaut hat.
Ihre Beziehung zu Daniel gerät in eine Krise und so sieht sich Johanna mutterseelenallein diesen Fragen ausgesetzt, bis sie in einem Gespräch mit der Lehrerin erfährt, dass die Dinge eben nicht so einfach liegen, wie man sie sich wünschen würde. Wie man mit der Vergangenheit als Deutsche umgeht, heute, in diesen Tagen, zwei Generationen später quasi, ist entscheidend für unser Weltbild. Johanna ist ein Mensch unserer Tage, die Eltern gehören der Nachkriegsgeneration an, die Großeltern waren im Krieg – drei Generationen, die auf drei unterschiedliche Art und Weise mit dem Nationalsozialismus und seinen Gräueltaten umgehen lernen müssen. Johanna muss sich in die Lage der Groeltern und der Eltern versetzen – ein problematisches Unterfangen, dem sie sich mutig stellt.
Heute ist oft die Rede davon, dass man „das Thema endlich sein lassen sollte“ – darf man Völkermord ignorieren? Werden wir „besser“, nur weil wir uns nicht mehr schämen für unsere Vorfahren? Soll Johanna schweigen oder nachbohren? Mirjam Pressler schildert Johannas Fragen und ihren Weg so, dass jeder Leser Johanna ist und da beantwortet sich diese Frage von selbst – wer keine Kenntnis von der Geschichte hat, steht nicht selbst darin, darf kein Teil von ihr sein. Nur in der Erkenntnis erwächst die Sensibilität, die notwendig ist, dass das keimhafte Böse, das überall aufgehen will, erkannt und an der Wurzel herausgerissen wird. Dazu muss man sich den Fragen stellen. Mit aller Konsequenz. Und wer sollte konsequenter und radikal ehrlicher sein als Jugendliche? Ein Buch nicht nur für Jugendliche. Gerade Eltern kann es auch helfen, einen anderen Umgang mit dem Thema innerhalb der Familie zu pflegen. Nicht um Tote nach Jahrzehnten mit Schmutz zu bewerfen oder künstlich zu beweihräuchern, sondern um sich klar zu machen: Wir alle tragen täglich mit die Verantwortung, wohin unsere Welt sich entwickelt. Und wenn wir nicht achtsam sind, aufmerksam auf Strömungen achten, werden auch wir mitgerissen, Mitläufer von Systemen, Täter und Opfer gleichsam.
csc

Ermutigung für Wurzellose

Mirjam Pressler: Wundertütentage. 208 Seiten, geb. 12,90 Euro. Verlag Beltz&Gelberg. ISBN 3-407-79893-8.

nach oben Nein, der zehnjährige Samuel freut sich nicht über den Umzug seiner Familie. Wie wird es ihm wohl in der neuen Siedlung und in der neuen Klasse ergehen? Nur sehr ungern läßt er sich auf seine neue Umgebung ein, ist schlecht gelaunt und gelangweilt. Fast scheint er sich – wie die Käfer, die er mit Interesse sammelt, in ein Puppenstadium zu begeben. Erst dadurch dass er Nicki kennenlernt, mit der er für drei kleine Kätzchen sorgt, und weil er in der Klasse seine Käfersammlung vorstellen darf, taut er etwas auf. Dass seine Mutter vorübergehend auszieht, macht ihn einerseits noch einsamer, gleichzeitig aber auch selbständiger. Als ihn die Sorge über den Streit der Eltern zu sehr bedrückt, macht er sich auf die Suche nach seiner Mutter und findet sie leichter als er dachte. Am Ende ist er seiner Puppe entschlüpft und hat seinen Platz neu gefunden. Jeder Tag ist wie eine Wundertüte – man weiß nie, was darin ist …
Mirjam Pressler lässt sich beim Erzählen viel Zeit für die kleinen Alltagsdinge und die feinen Beobachtungen in Samuels Umgebung, sei es im Zwischenmenschlichen oder im Dinglichen. Samuels Entwurzelung reicht bis ins Seelische, sogar bis in die Grundfesten seiner Familie hinein. Er gerät in einen Zwischenzustand, in dem das Altgewohnte, auch die Kindheit, ganz wegbricht und er neu Fuß fassen muss. Doch Pressler wirft Samuel nicht in eine spektakuläre Dramatik hinein, sondern läßt ihn einen allmählichen Prozess durchlaufen, den er selbst greifen und gestalten kann. Dabei erhebt sie sich nicht über den Blickwinkel des Zehnjährigen hinaus.
Eine ermutigende Geschichte für alle Kinder in diesem Alter, die sich wie Samuel fühlen!
Ulrike Schmoller

Rettet Raskawien!

Philipp Pullman: Das Banner des Roten Adlers. 424 Seiten, kartoniert. 8,90 Euro. Verlag Beltz. ISBN 3-407-78645-X.

nach oben Was geschieht, wenn ein Prinz aus Raskawien, einem Miniländchen zwischen Deutschland und Österreich, zur Bismarckzeit eine englische Göre heiratet, die im horizontalen Gewerbe ihr Geld hat verdienen müssen? Na klar, es gibt Ärger. Doch das Mädel entpuppt sich als wirklich gute Wahl, das merkt sogar der Prinzenvater, der getrost in Frieden sterben kann, die Nachfolge ist gesichert. Bei der Krönung des Paares wird der neue König erschossen, doch Adelaide, die Königin, ergreift das Banner, seit Jahrhunderten Symbol der Macht im Land, und schleppt es auf den Berg. Eigenhändig. Mit einem Schlag wird sie zum Idol der Menschen und in relativ kurzer Zeit schafft es das bodenständige Mädchen, nicht zuletzt dank der Hilfe ihrer ehemaligen Deutschlehrerin Becky und des Detektiven Jim Taylor, die Herzen der Menschen ihres neuen Landes zu gewinnen und sich als aktive und zur Arbeit am Volk bereite Herrscherin zu etablieren.
Ja, das wäre alles herrlich und wir hätten eine Diana ein Jahrhundert vorher, aber nein, da muss es ja auch ein paar Böse geben und kaum gekrönt, tauchen sie auch schon auf, die fiesen Nickelraffgeier, die Bankiers, die in dem kleinen Land eine gute Beute sehen und von den Toten wird ein Prinz, verrückt und eingesperrt, wieder auferstehen und dessen Ehefrau, die spanische Schauspielerin, die die königliche Sippe aus Hass der Reihe nach killt. Noch mehr Verwirrungen? Gibt es, keine Bange.
Pullmanns Story liest sich spannend, man futtert den Stoff so herunter, aber soll man am Ende sagen, um was es ging, muss man nachdenken. Um eine Königin, die, kaum an der Macht, von ihren politischen Feinden entthront wird, dabei einen Schuss in die Brust erhält und nach relativ kurzer Regentschaft schon wieder abtritt, während sie im Abgang noch schnell die Liebe ihres Lebens krallt.
Schreiben kann er spannend, Philip Pullmann, aber was er hier serviert, ist nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss. Es wird nicht so recht klar, für welche Leser das Buch gedacht ist, die Kleinen kapieren es nicht und die Großen, die die Sprache verstehen, die Fremdworte kleinbekommen und auffassen, dass Könige im Visier mächtiger Interessen stehen, sind ein wenig angenervt, denn Raskawien gibt es eben nicht. So mischen sich reale Szenen und Erfindung und das ergibt einen Brei, der nicht so recht munden will.
Wer gern mal an einem superöden Mittag was Spannendes lesen will, kann es offiziell als „Historischer Roman“ den vertrauensseligen Müttern verkaufen, es handelt sich immerhin relativ oft um Bismarck in dem Buch. Für alle anderen – muss nicht wirklich sein. Wenn sonst nichts im Haus ist, schadet es sicher nicht, gibt es Alternativen, her damit.
csc

Sarah gibt die Hoffnung nicht auf

Friedrich Recknagel/Maja Dusíková: Sarahs Weide. 24 Seiten, gebunden. Nord-Süd-Verlag. ISBN 3-314-00962-3.

nach oben Die kleine Sarah hat einen Lieblingsplatz am Teich, unter der alten Weide. Eines Tages bekommt der Baum ein weißes Kreuz – das Zeichen der Holzfäller. In der Nacht träumt Sarah von ihrer Weide und lernt den Baumgeist kennen. Als die Weide am nächsten Tag gefällt wird, bricht für Sarah eine Welt zusammen. Zum Glück bemerkt Sarahs Vater ihre Trauer und weiß einen Rat. Aber Sarah und ihre Freundin müssen sich lange gedulden, ehe der kleine zarte Baumgeist seine neue Behausung auch annehmen kann.
Text und Bilder sind in diesem Bilderbuch harmonisch aufeinander abgestimmt. Die Zeichnungen sind liebevoll und farblich sorgsam gestaltet, genau beobachtet und man sieht den Bildern an, dass sich Maja Dusíková in der Welt der Kleinen auskennt und gut beobachtet. Es eine Geschichte von Achtung und Respekt vor der Natur, aber auch davor, dass man nicht die Hoffnung aufgeben darf und manchmal auch eine große Portion Geduld braucht, ehe man sieht, dass die eigenen Bemühungen Erfolg haben.
csc

Im Bann des Keltenschwerts

Dietlof Reiche: Keltenfeuer. 368 Seiten, gebunden. 17,90 Euro. Hanser Verlag. ISBN 3-446-20517-9.

nach oben Hinter dem Beckmannhof gibt es seit ewigen Zeiten einen Hügel. Alle Steine aus den umliegenden Äckern landen auf dem Hügel, auf dem schon eine richtige Pyramide steht aus Ackersteinen. Kein Mensch denkt sich was bei dem Hügel, bis eines Tages ein richtiger Run auf diesen Steinhaufen ausbricht. Archäologen und Grabräuber treten sich fast gegenseitig auf die Füße und versuchen, als Erste einen Blick in das zu werfen, was sie in dem Hügel vermuten – ein über 2500 Jahre altes Keltengrab. Keiner ahnt, dass die Kelten, die dort begraben liegen, nur darauf warten, ihre Prophezeiung zu erfüllen.
Kathrin, 13 Jahre und Bauerntochter, hat keinen Schimmer von den Kelten, bis ihr eines Tages ein Mädchen mit Schwert auf dem Hügel begegnet. Kathrin begreift sofort: Da ist etwas Geheimnisvolles und vor allem sehr Mächtiges im Gang. Leon, Sohn einer Archäologin, die sich als Urlauberin tarnt, in Wahrheit aber mit einer Kamera schon gegen alle Regeln ins Grab hineingebohrt und dort ein bestattetes Keltenpaar gesehen hat, trifft auf einen jungen Krieger. Die beiden Jugendlichen begreifen rasch: Die Kelten wollen etwas von ihnen, sie haben eine Botschaft. Gleichzeitig beginnt der Run auf das Grab, Helikopter knattern über den Hügel, die Kriminalpolizei treibt sich nachts im strömenden Regen ebenso dort herum wie die Archäologin und ein aufdringlicher Geschäftsmann, der einen Erlebnispark auf dem Gelände errichten will.
Leon und Kathrin beginnen, Nachforschungen anzustellen und dazu müssen sie gewaltig tricksen. Sie merken, dass sie sogar den eigenen Eltern misstrauen müssen und am Ende stehen sie vor der alles entscheidenden Situation – Leon und Kathrin begeben sich in höchste Gefahr, um die Erwachsenen vor einem unglaublich großen Fehler zu bewahren.
Packend und spannend, man legt das Buch nicht mehr aus der Hand. Sehr interessant sind die Ausführungen über die Kelten und vor allem die Einblicke in ihre Gedanken und Überlieferungen. Ein Buch, das nicht nur Abenteuerfans vom Hocker reißt, sondern vor allem auch Kinder begeistert, die sich für alte Kulturen interessieren. Ein besonderer Reiz des Buches liegt darin, dass Reiche es schafft, in die normale, alltägliche Welt einen kräftigen Hauch von Unerklärlichem hineinzubringen und damit aufzeigt: Ist die Welt, die wir kennen, die Welt, die wir sehen? Achtung – es kann zum Streit darüber kommen, wer das Buch zuerst lesen darf, die Jugendlichen oder die Eltern.
csc

Was wirklich glücklich macht

Madonna Ritchie/Rui Paes: Billie Bargeld. Aus dem Amerikanischen von Michael Krüger. Farbig illustriert, 48 Seiten, gebunden. 12,90 Euro. Hanser Verlag. ISBN 3-446-20512-8.

nach oben Billie Bargeld hat alles – Geld, ein Schloss und jeder Wunsch wird ruckzuck erfüllt. Nur eines fehlt dem armen Kerl, er ist nicht glücklich. Also macht er sich auf zu einem Weisen, der ihm den Rat gibt, mit anderen zu teilen. Das hält Billie für den allergrößten Blödsinn überhaupt. Vor lauter Ärger läuft er alleine durch die Stadt, um nachzudenken. Er wird ausgeraubt und die Diebe nehmen ihm sogar die Kleider ab – ein grauenhafter Moment, denn Billie steht hilflos da und kann sich nicht helfen. Eine Kutsche kommt vorbei und der Kutscher nimmt Billie Bargeld mit, wenn er bereit ist, für ihn zu arbeiten. Das ist was ganz Neues für Billie, doch wenn er wieder nach Hause will, bleibt ihm wenig übrig, er nimmt an. Und nun lernt Billie den Wert harter Arbeit und Gastfreundschaft kennen. Mit jedem Möbelstück, das er von der Kutsche schleppt, wirft er seinen eigenen Ballast ab und am Ende hat er gefunden, was er suchte. Der Kutscher ist niemand anderes als Billie Bargelds Vorgänger aus dem Schloss, der die Lektion, dass sich Glück nur einstellt und vermehrt, wenn man es großzügig teilt, vor Billie gelernt hat.
Eine Fabel über das, was wirklich wichtig ist. Stellenweise ist die Formulierung salopp, das hätte sich Madonna sparen können, im Grunde aber ist es eine Geschichte mit einem tiefen Sinn. Erstaunlich sind die Bilder von Rui Paes, der die Helden in Tiergestalten darstellt und mit unglaublicher Kunstfertigkeit den Text, der ohne Illustration nicht weniger wahr, aber deutlich magerer wäre, mit seiner eigenen Sprache erzählt. Vielleicht sollte man die Lehren, die man aus dem Text ziehen kann, nicht in Kästchen Marke „Merke“ auf die Seiten stellen. Kinder sind nicht dumm, sie merken gut alleine, was an einem Text substantiell und wichtig ist. Aber gut, vielleicht brauchen heutige Youngsters solche Kästchen wieder, die wir früher im Schulbuch hatten, um sich noch einmal wirklich bewusst zu machen, was wesentlich ist. Dafür gab es auch mal Formulierungen, die hießen dann: Und die Moral von der Geschicht …
csc

Sofort lesen! Magie und Hochspannung pur!

Angie Sage: Septimus Heap: Magyk. Aus dem Englischen von Reiner Pfleiderer. Mit Illustrationen. 512 Seiten, gebunden. 17,90 Euro. Hanser Verlag. ISBN 3-446-20642-6.

nach oben Septimus Heap: Magyk Ja, Frau Rowling, es gibt noch mehr Autoren, die so schreiben, dass Zwerge nägelkauend vor dem Buch hocken und für die Welt ertaubt sind. Und dass Eltern nachts ihren Kindern die Bücher vom Nachttisch klauen und sich den nötigen Nachtschlaf verkneifen, um dem gleichen Zauber zu erliegen wie ihre Sprösslinge. Die Zeit bis Harry Potter 6 wird wie im Flug vergehen, denn in diesem Sommer heißt der Star eindeutig „Junge 412“. Keine Frage.
Es ist etwas ganz besonderes, der siebte Sohn eines siebten Sohnes zu sein, denn das ist automatisch ein besonders magischer Mensch. In dem kleinen Zimmerchen in den Anwanden, einem Teil der mächtigen Burg, wird eines Tages Septimus Heap geboren, siebter Sohn eines siebten Sohnes. Dass diese Kinder hochmagisch sind, weiß auch Dom Daniel, der fürchterliche Magier, der die Herrschaft über das Land an sich reißen will. Er lässt die Königin, die just an diesem Tag ein kleines Mädchen geboren hat, erschießen und Septimus rauben. Der Zufall will es, dass das kleine Mädchen von einer großen Zauberin gerettet wird, sie sorgt dafür, dass die kleine Jenna von Silas Heap, dem Vater, gefunden wird und dort in der Familie wächst sie mit fünf blonden grünäugigen Brüdern als schwarzhaariges violettäugiges Nesthäkchen auf. Angeblich war Septimus gleich nach der Geburt gestorben, die Hebamme präsentierte der verzweifelten Mutter Sarah Heap das tote Kind. Doch tatsächlich ist er entführt worden. Doch was haben die Entführer mit Septimus vor, wozu soll er missbraucht werden?
DomDaniel kommt Jenna, der entführten Prinzessin, die er unbedingt vernichten will, auf die Spur. Es gelingt ihm, die Außergewöhnliche Zauberin Marcia, die im Buch für das Gute steht, auch wenn sie sich kratzbürstig, arrogant und pinglig aufführt, zu entmachten und seine Spitzel überall zu verteilen. Das Land gerät unter die Macht von Dom Daniel, überall lauern Spitzel, nimmt das Böse überhand. Marcia gelingt es, Jenna vor Dom Daniel zu retten, doch dieser schickt den Jäger los, das personifizierte Grauen, der alles findet, was er suchen soll. Es braucht viele Helfer und sehr viel Magie, Jenna in Sicherheit zu bringen. Junge 412, ein namenloser Diener von Dom Daniels Kinderarmee, gerät in die Fänge von Tante Zelda, einer weisen Frau, die ihm das Leben rettet. Das Kind, von Geburt an in der Armee aufgezogen, hat nicht einmal einen Namen, nur eine Nummer, und er hat noch nie ein gutes Wort gehört. Er fühlt sich aber mehr und mehr heimisch in Tante Zeldas magischem Haushalt und es bleibt bis zur letzten Seite spannend, wer denn Junge 412 ist und ob vor allem der Lehrling von Dom Daniel, vom ersten Tag an aufgezogen als Septimus Heap, auch der magische Helfer ist.
Das Buch ist bevölkert von magischen Figuren, bösen Kreaturen ebenso wie kleinen Helfern, bis am Ende unter Tante Zeldas Haus ein ganzer Tempel erscheint, in dem ein Schiff seit Jahrhunderten darauf wartet, dass seine Segel gerefft werden. Dieses Schiff sorgt dafür, dass am Ende die Macht von Dom Daniel gebrochen werden kann und das Gute siegt, doch bis zum letzten Satz gilt es, Geheimnisse zu enthüllen und die Wahrheit herauszufinden.
Schöner Zusatz: Angie Sage hat einen kleinen Rückblick angehängt, was aus den einzelnen Figuren nach diesen Ereignissen geworden ist. Vorn und hinten ist eine Karte gezeichnet, damit man auch nachvollziehen kann, welche Ereignisse wo stattfinden und im Buch gibt es wunderbare Zeichnungen. Der Umschlag ist gestaltet wie ein geheimes Tagebuch, mit magischen Zeichen und einem Schloss versehen. Auf der allerletzten Seite kommt die frohe Ankündigung – von Septimus folgen noch zwei weitere Bände. Hoffentlich bald. Und wer nicht genug Septimus kriegen kann, darf unter www.septimusheap.de ein bisschen spielen.
Endlich mal wieder ein Buch, das man verschlingt, liebt und sofort in die Rubrik „geliebte Bücher“ einordnet.
csc

Kuddelmuddel braucht Hilfe

Axel Scheffler: Der magnetische Bauernhof. Ein Spielbuch mit 15 Tiermagneten. Aus dem Englischen von Barbara Gelberg. Pappband, 10 Seiten. 14,90 Euro. Verlag Beltz&Gelberg. ISBN 3-407-79330-8.

nach oben Wenn der Bauer schon Kuddelmuddel heißt, ist ganz sonnenklar, dass auf seinem Hof einige Dinge nicht so ganz klappen. Eigentlich ist am Morgen alles noch ganz friedlich. Der Bauer im Schlafanzug gähnt fröhlich aus dem Fenster, während der Fuchs hurtig von dannen schleicht und die Vögel längstens ihre Piepmätze füttern. Hinter dem Scheunentor verbergen sich die Tiere und wenn man das Tor öffnet, kommen sie heraus, alle mit Magnet im Bauch und dann geht das Spiel los – Tor auf, Tiere stürmen heraus. Der Tag auf dem Bauernhof beginnt und der Bauer bringt seine Tiere auf die Weide. Nun ist da aber ein großes Durcheinander, denn alle Tierkinder vermissen ihre Mama! Hier helfen die Kleinen, die zu den jeweiligen Tierkindern die Mütter dazusetzen, damit wieder Ordnung herrscht. Am Mittag wartet die nächste Katastrophe – das ganze Futter ist durcheinander! Familie Kuddelmuddel ist nicht erfreut, denn anstelle des leckeren Picknickkorbs hat der Bauer einen Hafersack hingestellt. Auch hier heißt es jetzt: zuordnen. Wer bekommt was? Auch der hektischste Tag geht einmal zu Ende und alle Tiere gehen schlafen. Sie ins richtige „Nest“ zu bringen, ist wieder Sache der kleinen Helfer von Bauer Kuddelmuddel.
Wenige, aber sehr exakte Aufgaben, klar und schön gezeichnete Bilder und auch für die mithelfenden Eltern ein bisschen was Verstecktes zum Schmunzeln machen aus einem normalen Bilderbuch ein Mitmachbuch. Wer mit den Kindern nicht nur die üblichen bekannten Steckbretter bemühen möchte, hat mit dem magnetischen Bilderbuch eine neue Spielidee.
csc

Liegt das Glück in der Erfüllung aller Wünsche?

Karla Schneider: Glückskind. 200 Seiten, gebunden. 13,90 Euro. Hanser Verlag. ISBN 3-446-20334-6.

nach oben Erfüllte Wünsche sind oft zum Weinen. Diese Erfahrung muss Suse machen als sie von Frau Fortuna die Zusage bekommt, sie werde ihr jeden Wunsch erfüllen. Denn leider macht es nicht lange Spaß, wenn jedes Essen nach Süßigkeiten schmeckt, drei Meter lange Haare sind lästig und eine Lehrerin, die nur noch zwitschert, ist auch nicht das Wahre. Da fällt ihr, in einem Moment der Einsamkeit, Felix vor die Füße, ein Schüler des berühmten Sterlitigotow-Instituts, in dem es so korrekt und ernsthaft zugeht, dass sogar die Lektüre vorgeschrieben ist. Dabei möchte Felix doch viel lieber Blumen binden und mit Suse Eis essen gehen. Schließlich stellt sich heraus, dass Felix Mutter niemand anderes ist als Frau Fortuna, die Suse gerne bei ihrem Schulprojekt unter die Arme greift, indem sie eine Illusionsvorstellung für die ganze Klasse organisiert. Was für ein Glück!
Karla Schneiders Stärke sind auch in diesem Buch die sinnlichen Beschreibungen, die an die unübertrefflichen Schneiderszenen in „5 1/2 Tage zur Erdbeerzeit“ erinnern: der Blumenladen bekommt Farbe und Duft, in der Backstube läuft einem das Wasser im Mund zusammen – da kann der trockene Direktor des Instituts einpacken. Die Nebenhandlung mit Suses Freundin Yvonne erzählt davon wie Suse sich abzugrenzen lernt und hat einen unerwarteten Schluss. Ein leicht abgedrehtes Element ist, dass sich Felix’ Vater in einen Bär verwandelt, wenn er Angst bekommt, aber schließlich sind die Fortunas ja auch keine normale Familie.
Die Durchmischung des Alltags mit Zauberei führt in diesem Buch direkt zum Lesevergnügen und macht alle Leser ab zehn zu Glückskindern.
Ulrike Schmoller

Elvis lebt!

Peter Schössow: Gehört das so? Die Geschichte von Elvis. Durchgehend farbig illustriert. 40 Seiten, gebunden. 14,90 Euro. Hanser Verlag. ISBN 3-446-20563-2.

nach oben Da schlurft ein kleines Mädchen stinkewütend durch den Park. Sie zerrt eine gruslige Omahandtasche in knallrotem Lackleder hinter sich her. Mit Gemoser spart sie nicht und wem sie begegnet, dem schleudert sie ein „Gehört das so??!“ entgegen. Egal, ob das ahnungslose Sonnenbadende auf einer Wiese, Tretbootfahrer auf dem See oder zechende Griller sind. Jeder kriegt seinen Schrei ab. Sechs sehr spannend aussehende Wesen folgen ihr neugierig: ein Minimann mit Koffer, ein Dackel, einer im Trachtenanzug, ein geflügeltes Kerlchen, ein Teddy und eine lange Dürre mit Jojo. Keiner blickt, warum sich das Kind so aufregt, bis die lange Dürre nachfragt: „Was ist eigentlich los mit dir?“ Diese Parzivalfrage löst eine Flutwelle aus: Der Giftzwerg kreischt „Elvis ist tot!“ Genau. Das ist nicht wirklich neu. Finden auch die Sechs. Aber es ist nicht DER Wackeldackelelvis, es ist der Elvis in der Handtasche: ein niedlicher, kleiner, gelber und nun sehr toter Vogel. Die Sechs beschließen, dass das eine angemessene Trauerfeier mit Erdbestattung erfordert.
Genau das machen sie auch. Feierlich. Elvis wird begraben und es findet ein Trauerschmaus statt. Elvis wird in den Erzählungen der Kleinen lebendig. Und die Trauer findet ein Ende, als sich alle vorstellen, wie es sein würde, wenn sich der schon lange tote Elvis und der frisch gestorbene Elvis treffen.
Der helle Sommertag mit seinem flirrenden Licht steht in krassem Gegensatz zur tiefen Trauer der Kleinen, die in den sechs skurrilen Begleitern würdige Freunde gefunden hat, die ihr in ihrer schwersten Stunde beistehen.
Schössows unverwechselbare Bilder brennen sich ein, der Moment, als die Kleine die Tasche öffnet und wir auf den toten Elvis starren, ist voll stiller Trauer. Trotz allem: Freunde zeigen sich in der Not und nie wurde ein Kanari liebevoller begossen als von den sieben neuen Freunden. Poetisch, traurig, zum Lachen und zum Weinen – wie im richtigen Leben eben.
csc

Schaurig traurig

Marcus Sedgwick: Das Buch der toten Tage. Aus dem Englischen von Friedrich Kur. 288 Seiten, gebunden. Hanser Verlag. 15,90 Euro. ISBN 3-446-20607-8.

nach oben Das Buch der toten Tage Beim Lesen kann man auch mit viel gutem Willen nicht aufhören. Zu rasch zieht einen Sedgwick ins Grauen hinein, in die Zeit der toten Tage zwischen Weihnachten und Neujahr, in denen die Grenze zwischen den Welten offen ist. Boy ist ein Junge, ohne eigenen Namen, ohne Vergangenheit, der, so lange er denken kann, bei dem Magier und Illusionisten Valerian lebt und arbeitet und ihm bei seinen Tricks im Theater hilft, um zu überleben.
Eines Tages schickt ihn Valerien zu einem Agenten, der vor Boys Augen ermordet wird. Eine Spieldose, die Boy in die Hände fällt, enthält den Schlüssel zu einem Geheimnis. Auf seiner Flucht vor den Schergen, die Boy den Tod des Agenten in die Schuhe schieben wollen – immerhin geht seit einiger Zeit ein brutaler Killer in der Stadt um und in der gleichen Nacht wird der Theaterdirektor auf brutalste Art und Weise umgebracht – trifft er Willow, ein Mädchen aus dem Theater, ungefähr gleiche soziale Stufe, ein Nichts also. Beide beschließen, zusammen das Geheimnis der Spieldose zu lüften und Valerian, der Todesangst hat, zu helfen. Der Name Gad Beebe kommt beim Rätselraten um die Dose heraus, doch wer ist dieser Gad Beebe? Und was vor allem ist das Buch der toten Tage, von dem Valerian wie besessen ist?
Im Lauf der Zeit bekommen Willow und Boy heraus, dass Valerian 15 Jahre zuvor einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat. Bis zur Silvesternacht hat er Zeit, das Buch der toten Tage zu finden, sonst wird Valerian sterben. Die Zeit rast nur so dahin und die Suche beginnt weit außerhalb von London auf einem gespenstischen Friedhof, bringt sie zu einem Arzt, der auf seltsame Art und Weise ebenso gruslig und besessen ist wie Valerian, und zu guter Letzt in die Katakomben unterhalb der Stadt.
Als das Buch endlich auftaucht, merkt Willow, dass der Todfeind nicht weit entfernt ist, sondern in ihrer unmittelbaren Nähe. Viele Jäger sind unterwegs, um dieses Buch zu erbeuten. In Valerians Experimentierturm kommt es zum Showdown des Grauens. Boy muss erkennen, dass Valerians Rettung bedeutet, dass er sterben muss, denn ein Opfer will das Böse haben. Willow schließlich ist es, die den entscheidenden Hinweis gibt.
Sedgwick zaubert mit seiner Geschichte ein düsteres Bild der Vergangenheit. Valerian ist ein begnadeter Magier, aber er hat auch gewaltige Abgründe, die Boy in diesen toten Tagen zwischen den Jahren erkennen muss. Gejagt und selbst jagend hetzen Willow und Boy, aber auch Valerian und der Arzt Kepler, der gleich Valerian Experimente mit dem Bösen treibt und Dinge erforscht, die man nicht nachfragen darf, sind hinter diesem Buch her, immer tiefer treibt der Sumpf die vier Menschen ins Chaos, das schließlich im Turmzimmer seine Lösung findet.
Spannend, Nervenkitzel pur und doch fragt man sich am Ende – um was ist es jetzt gegangen? Vielleicht liegt das mit daran, dass man bei der Figur des dämonischen Kepler immer den Astronomiekepler vor sich hat, dabei ist die Hauptperson zweifellos Boy, der nie erfahren hat, wer er ist und doch nur ein Ziel hat: anzukommen in seinem eigenen Leben. Und das ist am Ende auch geschafft. Der Leser klappt das Buch zu und schaut verstohlen in die Ecken. Uff, 21. Jahrhundert, ein Glück. In England ist der Titel, der bei uns mit 50.000 Exemplaren an den Start geht, ein Bestseller. Kein Wunder, in der Heimat des Schauerromans, aber auch bei uns wird Sedgwick eine begeisterte Leserschaft finden.
csc

Schnuffs Weihnachten

Günter Spang/Loek Koopmans: Ochs und Esel. Eine Weihnachtsgeschichte. 26 Seiten, gebunden. Nord-Süd-Verlag. ISBN 3-314-01098-2.

nach oben Schuff ist ein herrlich sanftmütiges Langohr, das seinen Stall mit einem ungehobelten Ochsen teilen muss. Schnuff schuftet ohne Ende und wird immer dürrer, während der Ochse ein recht bequemes Leben führt. Der traurige kleine Esel starrt wie so oft auch in der Weihnachtsnacht durch das große Loch im Dach und als er den wunderbaren Stern erblickt, der dort leuchtet, wird ihm bis ins kleine Eselsherz warm. Schnuff freut sich, als zu seinen Füßen der kleine Jesusknabe geboren wird und er haucht das Neugeborene so lange an, bis es Jesus schön mollig warm hat. Doch auch mit dem Ochsen ist eine wunderbare Wandlung vorgegangen – das Heu, das die Hirten als Geschenk bringen, darf Schnuff mitfressen und dann leckt der Ochse sein Fell! Herrliche Zeiten brechen an, der Stall wird repariert, es gibt für Schnuff genug zu fressen und der kleine Jesus bekommt sogar königlichen Besuch. Eines Abends ist es soweit – die Familie muss nach Ägypten ziehen und der Herbergsvater gibt der jungen Familie Schnuff mit, der Maria und das Kind tragen darf. Bis nach Ägypten! Und als Schnuff die Heilige Familie sicher dorthin gebracht hat, springt er freudig nach Hause und hat eine Menge zu berichten.
Wunderbar erzählt und in zauberhaften Bildern eingefangen ist diese Geschichte für die Kinder sehr schön zum Vorlesen und Anschauen. Vor allem die Bilder von Loek Koopmans bleiben lange im Gedächtnis, so zart und fein sind sie hingetupft, so groß ist die Freude von Schnuff, dass man den kleinen Esel förmlich sein „I-Ah!“ schreien hört.
csc

Mitten in die Angst

Andreas Steinhöfel: Der mechanische Prinz. 271 Seiten, kartoniert. 7,90 Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-35386-7.

nach oben Was macht ein Junge, der eine phantastische Geschichte erlebt hat und sie unbedingt erzählen will? Genau. Er passt einen bekannten Kinderbuchautor ab, schleimt sich ein und legt los.
Es ist eine atemberaubende Geschichte. Max ist ein Junge, dessen Eltern ausschließlich mit ihren Streitereien beschäftigt sind. Er hat einen Freund, immerhin, und er liebt es, in Berlin mit S- und U-Bahnen tagelang herumzufahren. Eines Tages trifft er eine ziemlich verrückte Alte, die Tauben füttert und einen einarmigen Bettler, der ihm ein goldenes U-Bahn-Ticket überreicht. Beide Begegnungen verwirren Max, sie sind aber erst der Anfang einer unglaublichen Kette von Ereignissen.
Die U-Bahn bringt Max in die Refugien, Parallelwelten, eher aber sind es Fahrten, deren Endstation die diversen Ängste von Max bedeuten. Max muss direkt durch seine Ängste, seine geheimsten Gedanken, Sorgen und Nöte hindurch, um die ultimative Prüfung zu bestehen: die, die ihm der mechanische Prinz aufgibt. Hier trennen sich dann wirklich alle falschen Hoffnungen und Ideen von Max, übrig bleibt er allein, ein ängstlicher und trauriger Junge, der sich der Aufgabe stellen muss, die ihn entweder das Leben kostet oder ihn beschenkt.
Max wagt das Unmögliche, er bekommt Hilfe und setzt klug seine Herzfinster ein, kleine Utensilien, die ihm liebe Menschen gegeben haben, um die Prüfungen zu bestehen. Was herauskommt, ist ein Junge, der sein Herz hat retten können.
Das klingt alles sehr theoretisch. Der Autor ist Steinhöfel, also was lang reden, lesen! Er ist ein Meister darin, den Leser in die Geschichte mitzunehmen. Das Buch wird erst aus der Hand gelegt, wenn es gelesen ist. Das ist keine Frage des literarischen Geschicks allein, davon hat Steinhöfel mehr als genug. Was Steinhöfel hier aufgreift, ist eine ganz problematische Kiste: Es geht um Angst. Um Gedanken, um Sorgen, Nöte, um Grundvertrauen, um das Herz, die Seele. Hier wird der Mensch mit dem Doppelgänger konfrontiert, mit dem, was ist, was sein könnte, was wird und dem, was die Gedanken ausmachen. Das sind ganz tiefe Fragen, die aufgeworfen und von Steinhöfel in eine Geschichte gepackt werden, der man folgt wie der Hund der Wurst. Atemlos.
Am Ende hat man nicht nur viel von Max erfahren, sondern eine Menge über sich selbst. Steinhöfel hat viele Herzfinster mit diesem Buch geschaffen.
csc

Eine Frage der Liebe

Andreas Steinhöfel: Die Mitte der Welt. Roman. Mit einem Nachwort des Autors. 477 Seiten, Paperback. 8,90 Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-35315-8.

nach oben Phil ist 17 und was er in seinen 17 Lebensjahren erlebt hat, dürfte vollkommen anders sein als das normale Leben Altersgleicher. Familienidylle hat er nie kennen gelernt. Seine Mutter Glass ist vordergründig chaotisch, zieht aber mit enormem inneren Kompass ihre Lebensbahn. Häufiger wechselnde Männer entbinden sie durchaus nicht von ihren Aufgaben als Erzieherin, doch sie fällt nicht einmal in diesen 17 Jahren in eine übliche Mutterrolle. Neben Phil und Glass lebt auf Visible, dem Riesenhaus am Rand des Verfalls, noch Dianne, Phils Zwillingsschwester, die ebenfalls so ihre massiven Macken hat. Visible ist ein offenes Haus, die unterschiedlichsten Leute gehen dort ein und aus und so sind auch die Beziehungen, die zwischen den Besuchern und den Bewohnern gepflegt werden, ungewöhnlich und ganz unterschiedlich. Das alles wäre ja schon mehr als genug, gäbe es da nicht Nicholas, in dem sich Phil unsterblich verliebt hat.
„Die Menschen hier“, sagte Glass mit einer den gesamten Marktplatz umfassenden Geste, „kleben seit Hunderten von Jahren aufeinander und halten das für völlig normal. Aber dieselben Menschen werden dich dafür hassen, dass du dich früher oder später in einen Jungen verlieben wirst.“ Ich war immer noch wütend auf sie. Aber ich wusste, dass sie die Wahrheit sagte. Visible war ein magischer Ort und Glass war eine außergewöhnliche Mutter, gemeinsam schufen sie eigene Gesetze, die hier draußen unter den Kleinen Leuten, keine Geltung hatten … Genau das trifft die Stimmung. Visible ist ein magischer Ort und dennoch schützt alle Magie nicht davor, dass gravierende Probleme auftreten, die bewältigt werden müssen.
Steinhöfel ist mit diesem Buch ein unglaublich dichter und eindringlicher Roman gelungen, der nicht nur eine ungewöhnliche Familie aufzeigt, sondern ganz sensibel mit dem Thema Homosexualität umgeht und die Gefühle von Phil nachzeichnet. Da die Geschichte aus Phils Sicht geschrieben ist, steckt der Leser mittendrin im Gefühlschaos, aber auch in allen Ängsten, denen sich Phil in Bezug auf Dianne und Glass stellen muss. Paleiko, ein schwarzes Negerpüppchen, das Phil geschenkt bekommen hat, hat im Buch eine wichtige Funktion. Es ist eine Art Frühwarnsystem und begleitet Phil in allen Fragen.
Was ist nun die berühmte Mitte der Welt? Steinhöfel gibt mehrere Antworten – zum einen die Bibliothek in Visible, Phils Ort, „an dem Geschichten beginnen und enden“. Zum anderen die Familie, die für Phil wie für alle Menschen eine zentrale Rolle spielt. Und der Titel weist auf den Tempel von Delphi hin mit seiner Inschrift: Erkenne dich selbst.
Ein Buch über das Suchen, das Finden und das Erkennen, dass Finden nicht immer nur glücklich macht.
csc

Nur einer kann es schaffen

Anu Stohner (Text)/Henrike Wilson (Bilder): Das Schaf Charlotte. Durchgehend farbig illustriert. 32 Seiten, gebunden. 15,40 Euro. Hanser Verlag. ISBN 3-446-20600-0.

nach oben Charlotte ist ein Schaf. Aber kein gewöhnliches Schaf, welches banale Schaf heißt schon Charlotte! Während das gemeine Schaf auf einer Wiese steht, vorn frisst und hinten düngt, vom Hund, auch wenn er alt und halb blind ist, in Schach gehalten wird und es auf den Schäfer hört, ist Charlotte anders. Charlotte erkundet die Welt, getrieben von gnadenloser Neugier auf alles, was es so anzuschauen gibt. Charlotte klettert auf Bäume, auf Felsen, Charlotte hopst ohne Not in einen Fluss und latscht zum Straßenrand, um sich Autos anzusehen. Das ist noch nicht das Schlimmste. Charlotte geht auch nachts auf Tour! Wenn alle schlafen, inklusive Hund und Schäfer! Das wird übel enden, unken die schafigen Schafe und blöken panisch. Ein braves Schaf macht sowas natürlich nicht. Charlotte ist das herzlich egal.
Eines Tages verknackst sich der Schäfer den Fuß. Peng! Er liegt da und rührt sich nicht mehr. Der Hund? Keine Chance, Charly blickt es nicht. Die anderen Schafe? Himmel Hilf, die rühren sich nicht vom Fleck. Also beschließt die spontane Charlotte – wenn einer diesen Job übernehmen kann, dann ich. Also düst sie los, spurtet durch die Gegend und freut sich, dass sie den Weg längst erkundet hat. Per Anhalter zischt sie ins Dorf und holt Hilfe. Nicht zu spät! Ja, wenn Charlotte nicht gewesen wäre! Eine Katastrophe!
Herrlich erzählt und wunderschön bebildet, zeigt das Buch, dass es durchaus Vorteile hat, mal was auszuprobieren. Ein echtes Mutmachbuch! Vor allem das Format ist großartig, die ausdrucksstarken Bilder kommen so ausgezeichnet zur Geltung. Ganz zauberhafte Bilder! Ein Buch, das man gern wieder und wieder vorliest! Für mehr Charlottes unter den Schafen und anderen!
csc

Mimus, der Hofnarr

Lilli Thal: Mimus. 445 Seiten, gebunden. Gerstenberg Verlag. ISBN 3-8067-5029-7.

nach oben Dass die Einladung an den Hof von Vinland zur Friedensfeier der verfeindeten Königreiche Monfiel und Vinland eine brutale Falle ist, weiß Kronprinz Florin nicht, als er frohgemut losreitet. Als er an König Theodos Hof seinen eigenen Vater, König Philip, sowie die Ritter und Begleiter in Ketten wiedersehen wird, trifft den Jungen wie ein Schock. Doch nicht genug – er wird nicht in Ketten gelegt, denn Theodo hat Besseres mit ihm vor. Der Kronprinz wird zum Hofnarren Mimus „in die Lehre“ gegeben und teilt fortan auf fauligem Stroh mit einen Becher Hirsebrei pro Tag im Affenturm, der Viehhaltung des Königs, sein Leben mit dem Narren, der ihn am ersten Abend zu Tode erschreckt hat.
Mimus ist ein Meister des Worts, scharfzüngig, ein extremer Beobachter und ein gnadenloser Lehrer, der mit seinem Schüler kein Pardon kennt. Er drillt Florin, der neben seiner Prinzenwürde auch rasch seinen Namen verliert und „kleiner Mimus“ genannt wird, ohne Rücksicht und genau dieser harte Drill ist es, der Florin überleben lässt, wenn der kleine Mimus an der Tafel des Königs auftreten muss.
Trotz aller Angst um seinen Vater und sein eigenes Leben, findet der kleine Mimus in der feindlichen Burg Freunde, die ihm beim Überleben helfen und er bekommt auf verschlungenen Wegen Botschaften von daheim, die Hoffnung machen. Doch bis es so weit ist, dass König Theodos Reich fällt, erlebt der kleine Mimus, dass man nach außen hin durchaus Possen reißen kann, auch wenn man innendrin herzzerreißend weint.
Die Geschichte erreicht ihren spannendsten Moment, als der kleine Mimus erfährt, dass in der Nacht die Burg gestürmt werden soll, König Theodo aber just an diesem Abend König Philip im Thronsaal köpfen lassen möchte. In seiner tiefsten Verzweiflung vertraut sich der kleine Mimus dem großen Mimus an und erlebt, wozu der Narr fähig ist. Am Ende finden beide Länder zum Frieden, aus dem kleinen Mimus wird wieder Florin, doch was er von Mimus, Theodos Hofnarren, gelernt hat, ist die gründlichste Lehre im Leben, die man haben kann.
Wer die Welt mit den Augen eines Narren sehen möchte, braucht unglaubliche Weisheit und enormen Abstand sowie die Fähigkeit, auch an tiefernsten Dingen noch Lächerliches zu finden. Das ist nicht jedem gegeben. Lilli Thal hat mit Mimus eine unvergessliche Figur geschaffen und es ist ihr gelungen, ein Buch zu schreiben, das man selbst als Erwachsener erst aus der Hand legt, wenn die letzte Seite zu Ende ist.
csc

Zauberhaftes von Felicity

Emma Thomson: Felicity Wunschfee: Magisches Durcheinander. Aus dem Englischen von Nicola Berger. Mit Pop-Ups und Klappen. Gebunden. 14,95 Euro. Verlag moses. ISBN 3-89777-224-8.

nach oben Felicity Wunschfee – als vor Jahren das erste Mal diese kleine Fee auf der Frankfurter Buchmesse auftauchte, hatten binnen Stunden sämtliche Besucher die wunderbaren Taschen mit Felicitys Konterfei unter dem Arm. Mit einem Schwenk des Zauberstabs brachte sich Felicity in die Herzen der jungen Leser und dort hat sie inzwischen einen festen Platz. Das neue Buch „Magisches Durcheinander“ ist ein regelrechtes Spielbuch in der Tradition der bewegten Bilder, wenngleich modern bunt, glitzernd und farbig, wie man es heute hat.
Felicity möchte für ihre Freundinnen, denen allesamt Missgeschicke geschehen sind, ein bisschen Glück haben und unbemerkt schickt sie drei Wünsche los. Alle Freundinnen sind überglücklich, doch die Direktorin der Schule der Neun Wünsche ist ganz und gar nicht erfreut über Felicitys „Zaubereien“ und brummt Felicity eine Strafarbeit auf. Felicity schafft ihre Aufgabe und die drei Freundinnen begreifen, dass sie ihre gute Laune Felicitys Überraschungen zu verdanken haben. Das sieht auch die Direktorin ein und belohnt die Freundinnen.
Die Macht der Wünsche ist Thema des Buchs, aber eben auch, dass „gute Wünsche“ bei anderen Menschen ankommen, auch wenn sie das nicht direkt bemerken.
Besonders hübsch sind die vielen Klapp-, Schiebe- und Ziehmöglichkeiten in diesem Buch, die liebevollen Details der Zeichnungen und der Glitzerstaub der „Magie“. Ein liebevoll gestaltetes Buch, das Kindern Freude macht und ihnen dank des beigefügten Zauberstabs die Möglichkeit gibt, das Freudewünschen selbst gleich einmal auszuprobieren. Gar nicht so weit weg von dem Satz „Wir sind, was wir denken“, wenn man es mal philosophisch betrachten will …
csc

Vom Leben, vom Lieben und vom Sterben

Johanna Thydell: An der Decke leuchten die Sterne. Deutsch von Gisela Kosubek. 256 Seiten. 12,– Euro. Verlag Friedrich Oetinger. ISBN 3-7891-4803-2.

nach oben Zu Recht hat Johanna Thydells Buch den schwedischen Augustpreis bekommen, denn dieses Buch hat zwischen seinen grässlich rosafarbenen Buchdeckeln alles, was man sich als Leser nur wünschen kann: Lachen, Weinen, Mitleben und Mitfühlen. Alles.
Jenna ist ein ganz normales Mädchen in der Pubertät. Wenigstens nach außen. Daheim hat sie eine Mutter, die vom Krebs langsam aufgefressen wird. Und sie ist verknallt in Zacke, der aber nix von ihr will. Ihre beste Freundin Susanna steht noch auf Pferde und die beliebteste Schülerin der Schule ist Vicki, nicht weil sie so superschlau wäre, nein, sie ist die erfahrenste und ihr Wort ist Macht.
Es sind eigentlich drei Geschichten, die Thydell liefert: Die Geschichte der Liebe zwischen Jenna und Zacke, die nie was wird. Die Geschichte von Jennas Mama, die den Krebs nicht besiegen kann, die von ihm überrollt wird und immer weniger wird, von der ganz normalen Mutter bis hin zu einer Frau, für die es übermenschliche Anstrengung bedeutet, vom Rollstuhl auf die Coach zu kommen und die ihre Tochter einsam zurücklassen muss, denn der Vater ist auch verschwunden. Zurück bei den Großeltern, die eben ihr eigenes gelebtes Leben, ihre festzementierten Vorstellungen und einen großen Schmerz im Herzen über den Verlust der Tochter haben. Und es ist die Geschichte der Freundschaft, erst die zwischen Susanna und Jenna, dann die neue zwischen Jenna und Vicky. Susanna hilft ihr, den Absprung vom Kindsein zu schaffen, Vicky zeigt ihr, dass hinter ihrer Show Einsamkeit steckt und viel Angst, denn Vickys „moderne Alte“, wie ihre Mutter genannt wird, ist Alkoholikerin und deshalb lebt Vicky ein ganz anderes Leben als „normale“ Jugendliche.
Der Leser begleitet Jenna durch das extrem schwierige Jahr, in dem ihre Mutter wirklich Stück für Stück starb, in dem Jenna ihre alte und bewährte Freundschaft mit Susanna aufgeben und ins Ungewisse springen muss. Nicht ungeküsst!
Manche Kapitel sind nur zwei Zeilen lang, das Ungesagte findet viel Raum in diesem Buch mit seinen 63 Kapiteln. Das ist gut. Die Autorin textet ihre Leser nicht zu, lässt sie innehalten, verdauen, weinen, sich betroffen fühlen von den lapidaren Sätzen Jennas, die Schutzschilde sein sollen und doch transparent sind bis ins Herz. Jenna ist hin- und hergerissen, ihr wird der Lebensanker gekappt und doch merkt sie, als sie sich mühsam über Wasser hält, dass es mehr gibt, das sie nach oben trägt, als sie befürchtet hat. Es geht nicht unbedingt gut aus, wie auch, Jennas Mama stirbt. Aber es geht so aus, dass Jenna erkennt, dass der Tod der Mutter nicht auch ihr eigener Tod sein muss. Und das ist mutig.
csc

Ende, Schluss, aus die Maus?

Barbara Veit: Hanna liebt nicht mehr. 192 Seiten, gebunden. 14,90 Euro. Hanser Verlag. ISBN 3-446-20442-3.

nach oben Es gibt nur eine einzige Kritik – der erste Satz ist stinklangweilig. Wenn man den geschafft hat, wird man innerhalb weniger Minuten in eine Geschichte hineingezogen, die einen an die Grenzen bringt: Was ist menschlicher Kontakt wert, was ist die Liebe, wie extrem ist man als junger Mensch, wie weit kann man sich isolieren, ohne an der Einsamkeit zu zerbrechen?
Hannah ist 17 und liebt Clemens, doch das stellt sich schnell als ein großer Irrtum heraus. Das allein ist schon ausgesprochen schmerzhaft, doch Hannah erlebt, dass sie durch diesen Schock und den Vertrauensbruch ihrer bislang besten Freundin Saskja plötzlich zum Leben keine Verbindung mehr hat. Sie schließt sich in ihrem Zimmer ein und versinkt immer mehr in eine abgrundtiefe Depression. Ihre Eltern, die versuchen, ins Zimmer zu gelangen, geraten in Panik, sie wissen weder von Hannahs gescheiterter Beziehung zu Clemens noch von ihrer ungeheuren Einsamkeit etwas. Ein Zettel, auf dem „Margrett“ steht, der Name einer Schulfreundin von Hannahs Mutter Annie, ist das einzige Zeichen, das Hannah gibt. Margrett, eine Journalistin, die zu Hannah eine gute Beziehung hat, erscheint. Sie setzt sich vor Hannahs verriegelte Zimmertür und beginnt zu erzählen. Geheimnisse, Tagebuchnotizen, Gedanken und Erlebnisse aus ihrem Leben, die auch Margrett selbst aufzeigen, dass jeder Mensch tiefgehende Einsamkeitserfahrungen, Rückzüge aus dem normalen Leben und das Durchstehen regelrechter Angstkrisen als Wachstumschance erlebt. Margrett spricht bis zur Erschöpfung und endlich kommt ein Lebenszeichen aus Hannahs Zimmer. Es dauert noch viele Geschichten lang, ehe Hannah aus der Tür kriechen kann und sich langsam wieder ins Leben zurücktastet. Sie hat wieder Verbindung und sieht, dass nicht nur sie, sondern auch Margrett, ihre eigenen Eltern, die an dieser Geschichte lernen, ihre eigene Beziehung, die unterdrückten Wünsche und Sehnsüchte, neu zu definieren, und ihre Freunde Menschen mit Fehlern, Schwächen, aber auch liebenswerten Eigenschaften sind. Barbara Veit zeigt an der extremen Reaktion Hannahs, wie wichtig es ist, Jugendlichen eine Vertrauensperson außerhalb der Familie zu geben, wenn alle innerfamiliären Bindungen gekappt werden. Jugendliche Leser finden sich in Hannahs Verzweiflung wieder und erleben anhand ihrer Trauer mit, dass man auch absolut existenzielle Krisen überstehen und daraus auf eine neue Art und Weise gestärkt hervorgehen kann.
Ein sehr eindringliches Buch, das aufzeigt, dass Liebe nichts ist, was von anderen gefordert werden darf, sondern selbst geschenkt werden möchte.
csc

Mit dem Herzen eines Löwen

Cynthia Voigt: Elske, Die Vertraute der Königin. 304 Seiten, kartoniert. 8,50 Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-37329-9.

nach oben Als Elske zwölf Jahre alt ist, kürt sie der Stamm der Kväner zur Todesjungfrau, die dem toten Kvänerkönig geopfert werden soll. Ihre Großmutter tauscht in der Nacht die Rolle und schickt das Kind auf die Flucht, um ihm das Leben zu retten. Der Tausch gelingt und Elske hat Glück, sie kommt nach Trastad und kann als Magd einen Neuanfang wagen. Eines Tages wird sie die Dienerin der unnahbaren Prinzessin Beriel, deren Bruder ihr den Thron streitig gemacht hat und der seine Schwester möglichst weit weg sehen will, jedenfalls aus der Gefahrenzone um den Thron herum. Doch der Bruder hat die Rechnung ohne seine stolze Schwester gemacht. Beriel gibt nicht auf, sie kämpft um den Thron und in diesem Kampf erwächst ihr in Elske eine ebenbürtige Verbündete – treu, mutig und tapfer steht Elske neben der störrischen Prinzessin. Gemeinsam erreichen die Mädchen das Unmögliche, der Thronräuber wird besiegt, Beriel als rechtmäßige Königin eingesetzt. Bis es soweit ist, müssen die jungen Frauen alle geltenden Regeln sprengen und sich nur auf eines verlassen – ihre eigene Kraft und ihren Mut.
Es ist eine Geschichte, die von der Härte des Lebens erzählt. Nicht in unserer Zeit, es ist ein fiktives Land, in dem Elske und Beriel leben, lange vor unseren Tagen. Männer haben in dieser Zeit das Sagen, Frauen gelten wenig. Das Schwarzpulver wird gerade entdeckt und im Kampf eingesetzt. Wer Gerechtigkeit möchte, darf sich nicht auf das Recht verlassen. Zwischen reich und arm gelten unüberwindliche Schranken und die Sitten in dem Stamm, in dem Elske groß geworden ist, sind unmenschlich. Säuglingen wird das Genick gebrochen, wenn es „unnütze“ Kinder sind. Es sind Regeln, die den Menschen wertlos machen, unter denen Elske aufwächst. Menschlichkeit lernt sie erst in Trastad und dort begreift sie – was schon wesentlich besser ist als in ihrem Herkunftsstamm, ist noch lange nicht gut. Sie lernt schnell, sie begreift rasch die Spielregeln und hat bald gemerkt, wie sie ihr Wissen anwendet.
Beriel ist adlig, sie hat davon aber wenig Vorteile, denn ihr Bruder hat ihr das Recht auf den Thron genommen. Sich dieses Recht wieder zu holen, ist ihre Lebensaufgabe. Gemeinsam mit Elske packt sie diese Frage an und bei der Verwirklichung ihrer jeweiligen Lebensträume wird aus Angehörigen unterschiedlicher Stände ein gutes Team.
Wer sich von dem oft düsteren Stil nicht irritieren lässt, der die Stimmung in der Gesellschaft in Trastad oder beim Stamm der Kväner gut nachzeichnet, reist mit Elske in ferne Zeiten und Welten und kommt ermutigt wieder zurück, vielleicht eher bereit, das eigene Leben aktiv in die Hand zu nehmen.
Als Lesealter würde ich mindestens 13 Jahre ansetzen.
csc

Wer mag heute noch Jugendlicher sein!

Mats Wahl: Schwedisch für Idioten. Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch. 336 Seiten, gebunden. 16,90 Euro. Verlag Nagel & Kimche. ISBN 3-312-00956-1.

nach oben Schwedisch für Idioten Henke hat ne Menge Sorgen an der Backe. Seine Schwester ist ertrunken und er fühlt sich schuld daran. Seine Mutter hat seit da einen Schlag weg und findet keinen rechten Tritt mehr. Vormals super Schüler, ist Henke seit dem katastrophalen Tag immer weiter abgesackt auf der sozialen Leiter und innerhalb seiner Schule bis hin zur Loserklasse, in die wahrlich nur die Krücken gehen. Wer sich da als Lehrer reintraut, muss ne verdammt gute Lebensversicherung haben oder Masochist sein. Geblieben ist Henke sein Freund Kosken und genau dieser Held, selbst ausreichend mit Problemen versorgt, wettet mit Henke, dass er sich nie traut, am Boogie-Marathon teilzunehmen. Henke nimmt die Wette an und fragt das nächstbeste Mädchen, ob sie mit ihm tanzen mag, dabei hat er von allem keinen Schimmer. Das Mädel sagt zu und Henke hat noch ein Problem mehr.
Im Leben kommen die Sorgen und Nöte nicht hintereinander weg, dass man sich in Ruhe um den anfallenden Mist kümmern kann. Nö, das fliegt immer auf einmal auf einen drauf, damit einem die Luft wegbleibt, man nicht weiß, ob man je wieder aus dem Chaos rausfindet und so. Henke erlebt diese Situation und Mats Wahl legt Henkes Leben komplett ausgeleuchtet unter ein Riesenmikroskop, damit ihm auch ja nichts entgeht. Eigentlich fängt alles mit Frau Persson an, der neuen Schwedischlehrerin, die auf das schmale Brett kommt, dass die Klasse der Irren, von denen sich keiner auch nur im Geringsten für Unterricht interessiert, ein Buch schreiben soll. Der Titel ist als erstes gefunden: Schwedisch für Idioten. Und damit geht der ganze Zoff so richtig los. Das Buch wächst, und zwar in Henkes Kopf, in kursiver Schrift gesetzt darf der Leser an Henkes Gedanken teilhaben und er erfährt das Drama um Henkes gestorbene Schwester, sein gigantisches Schuldgefühl, seine Leere. Dazu kommt Elin, das Mädchen, das mit Henke am Marathon teilnehmen will. Elin ist alles, was Henke mal war – schön und klug. Reich ist sie auch, aber dass sie sich mit Henke abgibt, fasst er nicht so richtig. Er weiß nur, dass er sich in Elin verknallt hat, die allerdings mit Emil zusammen ist. Nicht genug, dass die Schule abgefackelt wird, Frau Persson einen tragischen Unfall erleidet, der eigentlich Henkes Genick hätte brechen sollen und durch das Schreiben der Sumpf mit Henkes Schwester wieder aufgewirbelt wird, nein, auf einmal taucht da auch noch der verschollene Herr Vater auf, den Henke beim ersten Treffen fast umbringt. Alles auf einmal ist kaum zu schaffen und vor allem nicht, wenn man in so einem Umfeld wie Henke lebt und seine Probleme auch noch alle alleine lösen muss.
Henke und Elin werden nicht Marathonsieger. Die Schwester bleibt mausetot. Der Vater macht sich wieder vom Acker. Und doch hat sich Henkes ganze Welt in diesen Wochen verändert, kann er Elin und sich selbst aus einer Extremsituation retten und so möglicherweise eine der Determinanten verändern, die sein Leben auf der schiefen Bahn gehalten haben.
Mats Wahl findet deutliche Worte. Seine Schilderung des Schulalltags sollte Elternlektüre werden – das würde manches Vorurteil verändern. Was Henke und seine Klassenkameraden erleben, berührt das Zusammenleben von Völkern und Religionen, Liebe, Hass, Eifersucht, Hoffnung, einfach alles. Zum Weinen schön, aber knüppelhart geschrieben. Mats Wahl eben.
csc

Armer Herr Binggeli

Robert Walser/Käthi Bhend: Einer, der nichts merkte. 32 Seiten, gebunden, farbig mit Flachdruckgrafiken illustriert. 18,– Euro. Atlantis Verlag. ISBN 3-7152-0467-2.

nach oben Einer, der nichts merkte Irgendwann hat er gelebt, der Herr Binggeli. Das war ein ganz besonderer! Der merkte gar nix! Einfach nix! Ob es regnete oder schneite, seine Schuhe die Sohlen verloren, man ihm die Kinder nahm, die Frau, ob er aß oder nicht aß – dieser Herr Binggeli hat einfach nichts wahrgenommen. Er ist also ein ganz normaler Mensch, wie man sie heute zuhauf kennt, auf ihre kleine Welt fixiert, ohne mit anderen zu kommunizieren, denn was ist es anderes, wenn jemand den ganzen Tag vor einem PC hockt und am Abend zur Entspannung im Internet surft?
Walser hat eine ganz besondere Sprache und in diesem Text kommt das hervorragend heraus – Herr Binggeli wird beobachtet, seine Eigenheiten werden angemerkt, aufgespießt, mit Humor und Hintersinn. Doch Walsers Text wird noch getoppt – Kätze Bhends Grafiken sind ein echtes Hinschauerlebnis. Technisch ist das eine Besonderheit, das Buch, denn die Farbe des Bildes entsteht direkt beim Druck, so dass jedes Büchlein ein Original ist. Das wird jetzt die Kleinen weniger interessieren, die werden aber mit einem Bilderreichtum belohnt, der Walsers Wortwitz in nichts nachsteht. Die Bilder bieten eine Überfülle an Beobachtungen, da kennt jemand das Leben ganz genau, hat gelernt, hinzuschauen und wahrzunehmen, eine Kunst, die heute kaum mehr erübt wird. Ist der Herr Binggeli leer und gedankenlos, wird das Bild fast monochrom, selbst in einer Gruppe oder in der Familie ist der arme Mann wie eingefroren, isoliert, als hätte er eine Plastikschutzmauer um sich herum. Die Bilder erzählen die Geschichte mit einer ganz eigenen subtilen Sprache und als der arme Herr Binggeli gar unbemerkt seinen Kopf verliert, wird das Bild wie ein graues Schneebild im kaputten Fernsehgerät. Am Ende aber kommt es zur entscheidenden Frage: Glaubst du das? Wird der arme Herr Binggeli seinen Kopf wieder bekommen und dann etwas merken? Da gibt es verschiedene Antworten …
Wer ein Buch sucht, bei dem Klein und Groß gleichermaßen verwöhnt werden, liegt hier richtig!
csc

Die Welt in 23 Worten

Sarah Weeks: So B. It. Heidis Geschichte. Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit. 224 Seiten, gebunden. Hanser Verlag. ISBN 3-446-20643-4.

nach oben Heidis Mutter ist geistig behindert. Sie lernt es mühsam, Dosen zu öffnen. Ihr Wortschatz besteht aus 23 Worten und sie wird es nie schaffen, sich Schuhe mit Bändel zu binden, es reicht nur für den Klettverschluss. Aber sie ist Heidis Mama, sie liebt ihre Tochter. Heidi wächst in einer kleinen Wohnung auf, in der sie gemeinsam mit ihrer Mutter lebt. Nebenan wohnt Bernadette, die alles für Heidi und ihre Mama regelt. Es gibt keine Fragen, Bernadette beantwortet alles, was Heidi auch immer wissen will. Irgendwann bemerkt Heidi, dass ihre Welt nicht so ganz die ist, die draußen vorm Fenster stattfindet – Bernadette verlässt niemals das Haus und ihre Mutter lebt wie in einer winzigen Blase, Heidi kann nicht zu ihr vordringen, sie weiß nicht, was in ihrer Mutter vorgeht, was sie denkt, fühlt, was für Erfahrungen sie gemacht hat. Je älter Heidi wird, desto stärker interessiert sie sich dafür, woher sie kommt, wer sie eigentlich ist. Sie kennt nur ihren Namen, Heidi It. Wer außer ihrer Mutter und Bernadette zu ihr gehört, wer ihr Vater, ihre Großeltern, die Welt ist, aus der sie kommt, weiß sie nicht. Bernadette kann viele von Heidis Fragen beantworten, die nach Heidis Herkunft niemals. Es bleibt die drängende Frage in Heidi, was „Soof“ bedeutet, ein Wort, das ihre Mutter häufig sagt. Ist es ein Name? Ist es der Name ihres Vaters? Was bedeutet „Soof“?
Eine Kamera in einer Schublade erregt eines Tages Heidis Aufmerksamkeit. Darin befindet sich ein Film, den Heidi entwickeln lässt. Auf den Bildern ist ein junges Mädchen abgebildet, offenbar schwanger, und Heidi ist klar: Das ist ihre Mutter. Und die blonde Frau, die neben ihr steht, muss ihre Großmutter sein! Eine Weihnachtsfeier ist auf den Bildern und klar ist, dass sie in einem Heim für Behinderte stattfindet. Ein Foto zeigt den Namen des Heims. Heidi möchte nun mehr wissen über ihre Mutter, ihre Großmutter und über ihre Herkunft. Bernadette ruft im Heim an, doch sie bekommt keine Auskunft. Dutzende von Anrufen bringen sie nicht weiter, der Versuch Bernadettes, das Haus zu verlassen, um mit Heidi auf Spurensuche in der Vergangenheit zu gehen, endet fast tragisch, zu groß ist die Angst davor, die geschützte Höhle Haus zu verlassen. Heidi wird klar: Wenn sie sich nicht selbst auf die Socken macht, hat sie keine Chance, das Rätsel ihrer Herkunft jemals zu ergründen. Das Problem ist: Heidi ist erst zwölf und Greyhoundbus quer durch die USA darf man erst mit 15 fahren. Bernadette braucht lange, bis sie begriffen hat, dass sie Heidis Drängen, ins Heim zu fahren, nachgeben muss, will sie die seelische Gesundheit des Kindes nicht gefährden. So macht sich das Kind eines Tages auf den Weg, tagelang ist sie mit Bussen unterwegs und endlich erreicht sie das Heim. Dort wird sie mit Dingen konfrontiert, die das Auffassungsvermögen einer Zwölfjährigen übersteigen. Doch in dieser großen Notlage kommt ihr ein Paar zu Hilfe, das Heidi aufnimmt und ihm die schützende Hülle gibt, die sie braucht, um mit der Wahrheit zurecht zu kommen. Und endlich, endlich klärt sich auf, was „Soof“ ist, das Wort, in dem die Liebe ihrer Mutter wie ein Konzentrat zusammengeballt war. Während Heidi herausfindet, woher sie kommt, stirbt ihre Mutter, Heidi steht alleine auf der Welt. Sie hat ihren Großvater und ihren Vater gefunden, sie weiß nun, wer sie ist und sie hat endlich ihren „richtigen“ Namen, und das muss als Rüstzeug für den Start in ihr eigenes Leben genügen. Erst wenn man weiß, wo man herkommt, hat man den Mut, seinen eigenen Weg in die Hand zu nehmen.
Die Welt von geistig behinderten Menschen ist für gesunde Menschen vollkommen fremd. Dass geistig Behinderte aus tiefster Seele lieben können, ja in einer viel intensiveren, ehrlicheren und direkteren Form, weiß nur, wer mit Behinderten Erfahrung hat. Behinderte Menschen sehen nicht das, was wir scheinen, sie sehen direkt in unser Herz, sie nehmen uns, wie wir sind, mit allen Fehlern und Schwächen, es ist ein Austausch zwischen Seelen, nicht zwischen Körpern mit Defekten. Die Liebe zwischen Heidis Mutter und Heidis Vater ist etwas ganz besonderes, so tief, so rein und umfassend, dass beide dafür ein ganz eigenes Wort prägen, das Wort, das Heidi so ergreifen wird, dass sie sich auf die Suche nach seiner Herkunft macht.
Sarah Weeks schildert Heidis Welt ohne Schnörkel, ohne Beschönigung, ohne „ach wir sind ja so sozial“-Geschwafel, das Behindertenstories so grausig anhängt. Heidi hat eine behinderte Mutter und das ist ebenso normal wie einen Vater mit Magengeschwür zu haben oder eine Schwester mit chronischer Bronchitis. Ein mutiges Buch, das ein wenig die Tür öffnet zu einer Welt, die wir aussperren wollen, weil dort Menschen nach ihrem inneren Wert bemessen werden, nicht nach ihrem Schein und das – soviel spüren alle Menschen – kann unter Umständen recht mager ausfallen. Eine Liebesgeschichte der besonderen Art, tieftraurig und dennoch zeigt sie – Liebe ist immer ein Geschenk, sie ist magisch, sie überdauert Zeit und Raum und kennt keinerlei Grenzen.
csc

Zum Weinen schön

Ruth White: Nennt mich einfach Tad. 158 Seiten, gebunden. 14,50 Euro. Verlag Freies Geistesleben. ISBN 3-7725-2249-1.

nach oben Ruth Whites Buch ist vom ersten Satz an faszinierend. Der Blick des Lesers fällt zunächst auf vier Schwestern, die mit ihrer Mutter Dauerwellen bekommen. Das ist ein absolut einmaliges Erlebnis für die Collins, denn die Mutter ist alleinerziehend und hat es nicht leicht mit ihrer ausgesprochen munteren Mädchenschar. Erzählt aus der Sicht der jüngsten Tochter, Carol, kommt bald Tad ins Bild – der Cousin. Er ist seit dem Tod seiner Eltern bei Verwandten untergebracht, die die Vormundschaft für ihn haben. Tad wird ausgenutzt, geprügelt und leidet unter den Stiefeltern, deshalb ist er zu den Collins geflüchtet. Nun lernt der Leser Tad kennen und stellt rasch fest, dass der Junge nicht nur ein Lebenskünstler, ein wunderbarer Gitarrist und Sänger ist, nein, er hat die unglaubliche Fähigkeit, aus jeder Situation das Beste zu machen, Menschen zu begeistern und zusammen zu führen. Er gibt nicht zuletzt der kleinen Carol, dessen tägliche Anweisung der Mutter, ehe sie zur Arbeit geht, lautet: „Steh nicht im Weg herum“, ein lohnenswertes Ziel und entdeckt ihre ganz eigenes spezielles Talent.
Das Leben der Familie ist realistisch dargestellt und doch liegt über dieser Welt, bei allen Sorgen um unbezahlte Stromrechnungen, der Trauer um den gescheiterten Versuch der Collins, das Sorgerecht für Tad zu bekommen und den ewigen Geldsorgen ein Zauber, der von Tad ausgeht, der mit seinen Geschichten und Liedern nicht nur die Zuhörer und sich selbst immer wieder gekonnt aus bedrückender Realität herausführt, sondern der Carol auch zeigt, dass es immer ein Fenster gibt, durch das man blicken kann, voller Magie, voller Zauber und voll Kraft, um das Leben mutig zu ergreifen. Ein Buch, das Mut macht.
csc

Freunde fürs ganze Leben

Jujia Wieslander/Sven Nordqvist: Mama Muh und der Kletterbaum. Ins Deutsche übersetzt von Angelika Kutsch. 110 Seiten, gebunden. 10,90 Euro. Oetinger Verlag. ISBN 3-7891-5121-1.

nach oben Mama Muh und der Kletterbaum Mama Muh hat inzwischen längst eine große Fangemeinde. Wer würde sie nicht lieben, diese unerschrockene, wunderhübsche, gemütliche, mutige und abenteuerlustige Kuh, die sich die unmöglichsten Dinge in den Kopf setzt, sich gern in rasante Abenteuer stürzt und am Ende was erreicht, was vor ihr definitiv noch kein Hornvieh erreicht hat! Allein ihr Sinn für Romantik, ihre tiefe Freundschaft, ihre unglaubliche Neugier und ihr unerschütterlicher Glaube an die Macht des Wünschens, gepaart mit einem Dickschädel, das Gedachte auch auszuführen, machen Mama Muh zu einem wahren Coach für Groß und Klein. Warum soll eine Kuh nicht auf einen Baum klettern? Nur weil es vor ihr noch keiner gemacht hat? DAS ist doch wohl ein megaschwaches Argument! Dann kommt ja noch dazu, dass Mama Muh nicht allein auf der Welt ist – neben dem Leuten und Tieren vom Bauernhof gibt es noch die Krähe. Dieses allerliebste gierige Geschöpf ist ständig auf der Pirsch nach was zu Futtern und wenn es darum geht, Mama Muhs irrwitzige Ideen umzusetzen, ist sie garantiert die Erste, die davon abrät. Das ficht ja Mama Muh kein bisschen an und selbst als sie bei einer gewagten Kletterpartie vom Baum fällt und ausgerechnet mit den Hörnern im Boden stecken bleibt, gibt sie nicht auf. Mit Hilfe der Krähe, die mächtig von hinten schubst, schafft es die Kuh wieder auf alle Viere. Gemeinsam überstehen beide ein heftiges Regenwetter, kann Mama Muh die gestürzte Krähe wieder aufrichten, die beiden Romantiker genießen den Sonnenuntergang in trauter Zweisamkeit und die Krähe kriegt auch kaum einen Anfall, wenn Mama Muh einen auf Schlange im Stall macht oder wie ein Kaninchen hoppelt – es ist halt Mama Muh, wie sie leibt und lebt. Und weil sie so ist, lieben sie alle, sie denkt quer und das ist gut so. Und am Ende des Buches besucht Mama Muh sogar die olle Krähe in ihrem Baum, und das, wo jeder weiß, dass Krähennester nahezu kriminell hoch oben in Bäumen sind! Wenn das keine Freundschaft ist! Nach fünf Bilderbüchern und einem Kinderbuch ist das Nr. 7 in der Mama Muh-Sammlung und es bleibt doch zu hoffen, dass damit noch nicht alle verrückten Einfälle von Mama Muh erzählt sind.
csc

Einfach zauberhaft

Michael Dudok de Wit: Vier Biber in der Nacht. Aus dem Niederländischen von Arnica Esterl. 24 Seiten, gebunden. 12,50 Euro. Verlag Freies Geistesleben. ISBN 3-7725-2254-8.

nach oben Vier Biber in der Nacht Vier Biber genießen an einem Sommerabend einen herrlichen Sonnenuntergang. Der Kleinste ist nicht recht begeistert – wenn die Sonne weg ist, wird es Nacht und davor hat er Angst. Die großen Biber beschließen, dem Kleinen die Schönheiten der Nacht zu zeigen und so erlebt er ein Abenteuer nach dem anderen. Am Ende der Nacht weiß er, dass es nichts zum Fürchten gibt.
Wenn Sie ein Buch möchten, bei dem die ganze Familie begeistert ist, haben Sie es hiermit gefunden! Nicht nur die wunderbaren Bilder, die so innig die Farben des Abends, die Schatten der Nacht, die unterschiedlichen Lichtverhältnisse im Wald und auf dem Wasser, einfangen, bezaubern Groß und Klein, auch der Text ist sensibel und herrlich kurz mit klarer Botschaft. Die Biber sind mit sparsamem Strich gezeichnet, die breiten Schwänze wie Tennisschläger auf dem Boden ausgebreitet und wenn sie sich zur Ruhe legen, hat man als vorlesender Erwachsener Lust, mal wieder die Schönheiten der Nacht selbst zu betrachten.
csc

Behindert im Dritten Reich

Ursula Wölfel: Ein Haus für alle. Roman. 442 Seiten, Paperback. 9,– Euro. Carlsen Verlag. ISBN 3-551-35350-6.

nach oben Die Zeitspanne zwischen 1904 und 1945 beobachtet Ursula Wölfel in Danas Leben. Dana, im engen Hochtal geboren, läuft 1921 einfach von Zuhause weg, 17 Jahre alt ist sie und sie macht sich auf den Weg ins weit entfernte Ruhrgebiet zu Rike, Paul und Jan, im Schlepptau ihren treuen Bruder Leo. Sie verliebt sich in Paul, beide heiraten und dann kommt die Zeit der Nazis, die Machtergreifung und die Begeisterung im Volk über den Mann, der wieder neuen Schwung ins schlecht behandelte Deutschland bringt und die Massen mobilisiert. Das Leben im „Haus für alle“ ändert sich. Dass das neue System gravierende Mängel hat, merken einige der Freunde schon bald, doch Paul fühlt sich wohl bei den Nazis, er steigt Sprosse für Sprosse auf der Karriereleiter im neuen Staat nach oben. Da macht es sich denkbar schlecht, dass das Kind von Dana und ihm geistig behindert ist, denn immerhin ist das ja nun „unwertes Leben“ und es gibt ganz klare Regeln, wie man in diesen Fällen verfährt. Dana schafft es, ihren Robbi vor dem Euthanasieprogramm der Nazis zu schützen und so erlebt Robbi das Ende des Krieges.
Ursula Wölfel schildert schnörkellos, eindringlich und mit ungeheurer Sensibilität, wie Dana aus dem Tal ihr Leben meistert und wie sie für Robbi kämpft. Am Beispiel dieses Einzelschicksals wird deutlich, wie massiv die Naziideologie in einzelne Beziehungen hineingewirkt hat und dort von einer unglaublich zerstörerischen Macht war. Das Thema Euthanasie im Dritten Reich wird sehr gern totgeschwiegen, es ist ein Tabuthema. Dass Ursula Wölfel sich dieses Themas angenommen und vor allem, wie sie es ins direkt greifbare Leben geholt hat, ist ein erschütterndes Dokument, aber auch ein unglaublicher Beweis, was Liebe, was Vertrauen bewirken kann. Ein Glossar und eine Zeittafel im Anhang helfen auch jungen Lesern, den Gesamtzusammenhang zu erkennen.
Das Buch gehört in jedes Haus, damit es nie mehr zu solchen unglaublichen Morden kommt. Wer nicht für solche Fragen sensibilisiert ist, ist nicht wirklich gerüstet, rechtzeitig aufzustehen und „nein“ zu sagen. Ein längst schon notwendiges Buch.
csc

Überzeugend: Englisch für Kinder

Tina Zang: Panic on the set. Panik am Set. 128 Seiten. 5,95 Euro. Langenscheidt. ISBN 3-468-20431-0.

nach oben Warum ist da nicht schon früher jemand draufgekommen? Langenscheidt hat ein neues überzeugendes Konzept entwickelt, mit dem Kinder ab 10 Englisch lernen können. Die elfjährige Cora erzählt von ihren Erlebnissen bei einem Filmcasting und den anschließenden Aufnahmen für einen englischen Kinderfilm. Dabei sind die Dialoge überwiegend in Englisch, denn die native speaker sprechen natürlich in ihrer Heimatsprache. Auf ganz natürliche und selbstverständliche Art mischen sich so die beiden Sprachen. Die englischen Sätze bleiben so einfach und alltäglich, dass sie ab der sechsten Klasse gut verstanden werden können, ansonsten hilft ein Blick auf die Vokabelanmerkungen unten auf der Seite. Der Autorin ist es zudem gelungen authentische Hilfen in den Text einzubauen, etwa indem Cora bei ihrem Gegenüber nachfragt, etwas im Wörterbuch nachschlägt oder etwas sinngemäß auf Deutsch wiederholt. Dadurch dass die Ich-Erzählerin deutsch erzählt, ist der Handlungsverlauf gut zu verstehen, die Spannung ist gesichert und die fremde Sprache kann sich einfach in diesen Rahmen einfügen. Die story nimmt Bezug zum ersten Band über Mica und Marty und hat den Charakter einer harmlosen Detektivgeschichte, die sich flüssig liest.
Eine in jeder Hinsicht hervorragende Idee, die von der Autorin auf’s Beste umgesetzt wurde. Von dieser Art Bücher sollte es noch viele geben.
Ulrike Schmoller