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Thomas Quasthoffs Autobiographie im ersten Moment purzeln
einem jede Menge Gedanken durch den Kopf. Erinnerungen an eine
Echo-Preisverleihung, Grammy, Lieder zum Weinen schön auf CD
gepresst und eine berührende Stimme, die man verstehen kann, ohne
im Textheft nachzuschlagen, natürlich die Berichte über Contergan
und Pressescheu. Das alles sind Facetten eines Mannes, doch was sagt er
selbst?
Dieses Buch ist nichts für Leute, die Mitleidheischendes erwarten,
die Tipps wünschen, wie sie selbst ihre Grölstimme in einen
Juwel verwandeln, es bietet keine voyeuristische Schlüssellochperspektive,
denn es reißt die Tür auf und konfrontiert den Leser mit
einer Persönlichkeit, mit der man auch gern mal ein Bier trinken würde.
Thomas Quasthoff ist ein Mensch, mit dem man gern befreundet wäre,
denn er hat alles, was man sich wünscht Witz, Esprit, eine
grandiose Bildung, Sprachvermögen, einen tiefgründenden Humor
und einen Bruder, mit dem er ein perfektes Team bildet. Den Ball, den
der eine zuwirft, nimmt der andere auf. Die Quasthoff-Brothers müssen
gemeinsam der Hammer sein.
Was macht das Quasthoff-Phänomen aus? Das ist die Frage. Absolut
treffend schreibt Thomas Quasthoff schon auf der Klappe: Ich kann
auf der Bühne keinen schicken Frack tragen, ich mache nichts her,
mein Körper ist klein und unscheinbar, und für die
beeindruckenden Gesten fehlen mir die Extremitäten. (
)
Jemand, der aussieht wie der Glöckner von Notre-Dame, mag eine
Saison lang als Kuriosität durchgehen, auf die Dauer akzeptiert das
Publikum einen Künstler nur, wenn die Qualität stimmt, wenn er
etwas zu sagen hat. Dass Thomas Quasthoff ein Contergankind ist
wie Tausende meiner Altersgruppe, wusste ich lange gar nicht, weil ich
nur Die Stimme kannte und fasziniert davon war. Eine
Vorstellung vom Sänger hatte ich nicht, ein Foto, das mir unter die
Finger kam, zeigte einen markanten Kopf. Ich war gespannt darauf zu
lesen, wie es ihm gelungen war, seine Stimme so auszubilden.
Contergangeschädigt, behindert zu sein, bedeutete vor über 40
Jahren (vermutlich bis heute), dass das kleine Kind von der Familie
getrennt in Kliniken aufbewahrt wird, man testet Operationen, nennt es
Hilfe und setzt ansonsten die Kinder der Öffentlichkeit aus. Die
ganze Welt wird zum Jahrmarkt, Mütter müssen sich beschimpfen
lassen, nach der Psyche der Betroffenen fragt keiner. Was für ein
Glück, dass Mama Quasthoff ein gutes Rückgrat hat und auch der
Vater fähig ist, auch mal unkonventionelle Methoden anzuwenden. Was
für ein Glück auch, dass Thomas einen großen Bruder hat.
Anfangs ist das alles wenig hilfreich, denn auch Thomas Quasthoff erlebt
die übliche Maschinerie. Gipsbett was für eine Folter
das ist, ermisst keiner, der es nicht erlebt hat. Mein eigener Bruder
lag ein Jahr darin und was Thomas Quasthoff über diese Zeit
schreibt, habe ich selbst auch so erlebt. Der Tonfall bleibt sachlich,
es bleibt dem Leser überlassen, zu weinen. Die Phase hat Thomas
Quasthoff hinter sich. Er erlaubt den Blick auf den kleinen Jungen, der
Gipsbett und Schienen an den Beinen ausgesetzt ist und dessen kluge Mama
ihm das Laufen beibringt mit Hilfe von Schokolade (bei meinem Bruder
waren es Smarties!). Wir dürfen ins Leben der Familie schauen,
erleben die Zeit im Internat mit, weil Behinderte nicht in öffentliche
Schulen gehen und freuen uns, dass es der Zähigkeit der Familie
(und dem Durchhaltevermögen des Betroffenen) gelingt,
Thomas einen regulären Schulbesuch zu ermöglichen. Die Welt
der Musik eröffnet sich früh für das begabte Kind, Mama
und Papa sorgen für unterschiedliche Musik und irgendwann wird klar
da steckt eine gute Stimme drin. Thomas beißt sich nicht
nur in der Schule durch (notfalls muss halt mal Bruder Micha einem Blödmann
den Oberkiefer neu gestalten), sondern lernt schnell, dass Singen sehr
gewinnbringend ist, wenn man gerne isst. Es kommt der Moment, an dem
klar wird, dass das Singen mehr werden kann als nur Trallala. Thomas
Quasthoff landet bei Charlotte Lehmann, einer Sängerin, die seine
Stimme ausbilden möchte. Wir sehen mit verständnisvollem
Grinsen einen Nachmittag im Hause Quasthoff: Thomas macht Stimmbildungsübungen
(sowas nervt ohne Ende! Seltsamerweise nur bedingt den, der diese Geräusche
von sich gibt), sein Bruder kann sich nur retten, indem er Klarinette
lernt und schmerzlich Fiependes erzeugt, Mama Quasthoff, die das
ertragen muss und über allem der Vater, dem der Krieg einen Strich
durch eine eigene Sängerkarriere gemacht hat. Es ist zum Wegschmeißen.
Es ist der normale Wahnsinn. Und es ist phänomenal, dass sich
Thomas durch alle Hürden hindurchkämpft, dass er seinen Weg in
sich spürt und im Lauf der Jahre lernt, die Hindernisse als das zu
sehen, was sie sind Hindernisse, an denen man wächst. Im
Buch steht nichts darüber drin, ob das Kind nicht vor Einsamkeit im
Internat, vor Sehnsucht nach der Familie geweint hat. Ob er seine Übungen
immer gern gemacht hat oder ob ihm nicht die Beine abgefallen sind vom
Stehen. Der Alltag war mit Hürden gespickt, allein die körperlichen
Probleme müssen bewältigt werden und das war mit Sicherheit
nicht einfach. Wie soll man denn einen Knopf im Aufzug drücken,
wenn man nur bis zur Notfalltaste reicht? Wie zieht man sich an mit
Armstummeln? Von diesen Alltagssorgen weiß man, man denkt es sich.
Eben. Man hat keinen blassen Schimmer, wie oft der Junge vom Hocker vor
dem Waschbecken gefallen sein mag. Es spielt keine Rolle mehr, heute fällt
er nicht mehr runter. Aber das alles sind Erfahrungen und Lebensspuren,
die prägen.
Genau mit diesem Kampfgeist schafft es Thomas Quasthoff, die Absage der
Musikhochschule zu verkraften. Heute muss man nicht mal mehr Klavier
spielen können, um Gesang zu studieren. Er studiert also privat bei
Charlotte Lehmann und ihrem Ehemann weiter und muss so mühsam
selbst mit Elternhilfe finanzieren, was anderen auf dem Serviertablett
zugereicht wird. Auch das Erfahrungen, die im Nachhinein betrachtet
kostbar sind.
Von unten bis hinauf an die Weltspitze hat sich Thomas Quasthoff
hochgearbeitet, ausgestattet mit einer Stimme, die er virtuos beherrscht
und wie ein Instrument betrachtet. Liedgesang ist sicherlich die Stütze
seines musikalischen Schaffens, aber Brüder wären nur die Hälfte
wert, wenn sie nicht für Ausweitung des Blickwinkels sorgten. Jazz
ist für Thomas Quasthoff ein weiteres Betätigungsfeld und was
ihn sonst noch prägt, ist ein messerscharfer Blick auf die Welt.
Wenn Sie eine herrlich erfrischende, packende und treffende Analyse
bundesrepublikanischen Lebens und Kunstschaffens der letzten 40 Jahre
lesen wollen, kommen Sie an diesem geistreichen Buch kaum vorbei.
Künstler werden von ihren Kollegen mitgeprägt. Bei Thomas
Quasthoff ist das nicht anders. So erzählt er in seinem Buch auch
von den Musikern, mit denen er gearbeitet hat, mal besser, mal
schlechter, aus den sicher in Unmengen vorhandenen Anekdoten werden
einige endlich erzählt. Immer wieder taucht die Familie auf,
Ankerplatz, Auftanken und Rückzugsmöglichkeit.
Ich habe das Buch nicht alleine gelesen. Ich habe es vorgelesen. Der
ganzen Familie, bei den Mahlzeiten. Wir haben gebrüllt vor Lachen.
Wir waren gebügelt von der Sprache, vom Esprit, von der Klugheit,
die aus den Zeilen spricht. Wir sind mit dem Dreirad ebenso mitgefahren
wie in Hotelzimmern und auf Bühnen dabei gewesen. Wir haben
geklatscht, als Thomas Quasthoff zum ersten Mal den Schritt auf die
Opernbühne wagt und die Diskographie bestaunt. Und alle waren sich
einig: Lieber Thomas Quasthoff! Falls Sie mal in Würzburg gastieren
wir stellen Ihnen ein Bier kalt. Herzliche Einladung!
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